Murray,Paul
Historiker,
natürlich wissen Sie's. Achtzehnhundertfünfundsechzig, zwei Jahre nach der
Schulgründung. Eine andere Frage, Howard: Finden Sie, dieser Korridor
symbolisiert Exzellenz! Sagt er: Irlands führende höhere Schule für Jungen?«
Howard
sieht sich die Halle noch einmal an. Die blauweißen Fliesen sind matt und
verkratzt, die schmierigen Wände löchrig und bröckelig, die Fenstersimse
verrottet und mit Generationen von Spinnweben verunziert. An einem Wintertag
könnte man sich vorkommen wie in einem viktorianischen Waisenhaus. »Na ja ...«,
setzt er an, dann merkt er, dass der Automator auf dem Absatz kehrtgemacht hat
und im Sturmschritt den Weg zurückgeht, den sie gekommen sind. Er hastet ihm
nach, während der Automator weiterdoziert und vorbeikommenden Schülern mehr
oder minder willkürlich lautstarke Anweisungen erteilt - »Haarschnitt! Immer
langsam! Sind das weiße Socken?« -, wie ein Lautsprecher in einem totalitären
Staat.
»Früher
einmal, Howard, war dieses Gebäude hochmodern. Neidobjekt sämtlicher Schulen des
Landes. Heutzutage ist es ein Anachronismus. Feuchte Klassenzimmer,
unzureichende Beleuchtung, schlechte Heizung. Und was den Turm anbelangt, für
den wäre das Wort Todesfalle noch ein Kompliment. Was ich damit sagen will:
Die Zeiten ändern sich, und man kann sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen.
Unterrichten ist heutzutage eine gehobene Dienstleistung. Die Eltern übergeben
einem nicht mehr einfach ihre Kinder und lassen einen tun, was man will. Sie
schauen einem die ganze Zeit über die Schulter, und wenn sie den Verdacht
haben, dass sie nicht genug für ihr Geld bekommen, holen sie Klein Johnny hier
raus und schicken ihn nach Clongowes, bevor man auch nur Brian O'Driscoll sagen
kann.« Sie sind durch den Anbau, den modernen Flügel der Schule, und die Treppe
hinauf gegangen und stehen jetzt an der offenen Tür des Direktorats, in dem
bis vor Kurzem Pater Furlong residiert hat. »Kommen Sie einen Moment rein,
Howard.« Der Automator winkt ihn durch. »Entschuldigen Sie die Unordnung, wir
gestalten den Raum gerade ein wenig um.«
»Wie
man sieht.« Kartons stehen überall auf dem Fußboden im Allerheiligsten des
alten Paters; manche enthalten Furlongs Sachen, die noch vor Kurzem in den
Regalen standen, andere die des Automators, aus dem Dekanszimmer im Altbau herübergeschafft.
»Heißt das ... ?«
»Tja,
Howard, leider, leider«, seufzt der Automator. »Behalten Sie's möglichst noch
für sich, aber die Prognose ist nicht gut.«
Desmond
Furlongs Herzinfarkt im September ist für alle überraschend gekommen. Der
winzig kleine, pergamentgelbe Mann hatte sich zu einem durch und durch
vergeistigten Wesen hochstilisiert, und man musste jeden Moment damit rechnen,
dass er sich vollends seiner Leiblichkeit entledigen und in einer Wolke reinen
Wissens aufgehen würde; körperliche Leiden waren ihm stets fremd gewesen. Aber
jetzt liegt er sterbenskrank in der Klinik; sein Sonnensystemmodell steht noch
auf dem imposanten Kirschholzschreibtisch, sein Foto hängt noch an der Wand (es
zeigt ihn freudlos lächelnd, wie ein König, der seiner Krone müde geworden
ist), und seine schillernden Fische schimmern noch aus dem Dämmer des Aquariums
auf der Kommode hervor, doch seine Bücherregale sind leer, bis auf den Staub
und ein Entspannungsspielzeug, das wie eine hastig aufgestellte Flagge wirkt.
»Traurig,
traurig«, sagt der Automator, legt Howard tröstend die Hand auf die Schulter
und schaut nachdenklich in eine Kiste voller Haftzettel, dann tritt er
beiseite, als eine Frau mit einem ganzen Stapel Kartons hereingewankt kommt und
ihre Last ächzend neben dem Papierkorb absetzt.
»Hallo, Trudy«, sagt Howard.
»Hallo, Howard«, erwidert Trudy. Trudy Costigan ist die Frau des Automators, eine
kompakte Blondine, die in ihrer St.-Brigid's-Zeit zum bestaussehenden Mädchen
und zum Mädchen mit den größten Chancen gewählt wurde und noch immer Spuren ihrer
einstigen Pracht und Herrlichkeit aufweist, trotz der Verheerungen durch die
Ansprüche ihres Mannes und der fünf Kinder, die sie ihm geboren hat (alles
Jungen, einer pro Jahr, als hätten sie keine Zeit zu verlieren gehabt - oder,
wie paranoidere Beobachter munkeln, als wollte er eine kleine Armee aufstellen). Seit seiner Ernennung
zum kommissarischen Direktor ist sie auch als inoffizielle persönliche
Assistentin des Automators tätig, überwacht seine Termine, arrangiert Treffen,
macht Telefondienst. Sie lässt oft etwas fallen
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