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Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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sich in Bewegung. Wir sahen zu und winkten, und er winkte zurück, bis die Kutsche um die Ecke rollte, in Richtung Hafen. Und dann war er weg, und wir gingen ins Haus zurück. Bald würden die großen Kriegsschiffe aus dem Hafen fahren, mit abgestellten Motoren, gezogen von Schleppern, dem offenen Meer entgegen. Es würde noch heute sein. Heute, bei Sonnenaufgang. Ich schleppte mich die Treppe hinauf; jede Stufe, jeder Schritt war eine Qual. Vor meinem Zimmer wurde mir schlecht. Ich glitt an der Wand entlang, in meinem Mund war Spucke und bittere Gallenflüssigkeit. Ich übergab mich auf die Fliesen.

28. Kapitel
    V ater befestigte mit Klebstreifen eine große Karte vom Mittelmeer an der Wand über seinem Arbeitstisch, um die Route der Schiffe zu verfolgen, die telegraphische Meldungen täglich bestätigten. Er gab sich voller Zuversicht, wurde nicht müde, uns zu versichern, dass Disziplin und Glaube die zwei Grundkräfte jeder kriegerischen Unternehmung seien und dass unsere Kriegsmarine über beide in ausreichendem Maß verfüge. Die Kommandanten waren für ihre Pünktlichkeit und Genauigkeit bekannt. Ich sah zu, stumm und aufgewühlt, während er die Fahrtrichtung des Geschwaders mit kleinen Fähnchen bespickte. Ich hatte in Wirklichkeit wenig Ahnung von dem Krieg, das Wissen kam ganz allmählich und mit grausamer Deutlichkeit. Immer wieder sprach mein Vater Namen von unbekannten Städten oder Orten aus, zeigte sie mir auf der Karte: Riga, Basra, Tannenberg, Suez, Serbien, Jütland, Saloniki, Marmarameer, Tsingtau. Der Krieg breitete sich aus, griff wie ein dunkles Ungeheuer über die ganze Erde. Im Krieg gibt es keine Güte, keine Gnade mehr unter den Menschen. Eigentlich, dozierte mein Vater, der lediglich mein Bedürfnis zu verstehen wahrnahm, eigentlich hatte der Krieg seine entscheidende Wendung genommen, als die Alliierten den Deutschen in Frankreich und in Russland starke Verluste beibrachten. Erst daraufhin verlegte sich der Krieg auf die See. Ziel der Deutschen im Mittelmeer war es, die Truppentransporte der Royal Navy zu unterbinden und gleichzeitig neue Kolonien in Nordafrika zu erschließen. Die Royal Navy ihrerseits war bestrebt, ihre Handelswege zu schützen und die deutsche Blockade zu durchbrechen. Truppenverbände aus Kanada, Südafrika, Indien, Australien und Neuseeland wurden als Verstärkung nach Frankreich geschafft. Außerdem wurden von den USA Soldaten und neue Waffen über den Atlantik geschickt. Das Abkommen zwischen England und der japanischen Marine – die sogenannte »approximative Allianz« – sah für die Japaner Kriegshandlungen nur im Notfall vor; ihre Schiffe dienten vorwiegend als Eskorte, Beobachtungsposten und Lazarette. Das beruhigte mich kaum; an manchen Tagen war mir, als ob ich den Verstand verlöre, weil ich unentwegt nachdachte. Nachts verfolgten mich Albträume, ein ständiges Würgen quälte mich, und ich konnte kaum etwas im Magen behalten. Was war mit mir? Ich wusste es nicht. Ich wollte nur, dass die Angst mich endlich verließ. Doch sie war immer da, sie ließ mich aus dem Schlaf hochschrecken. Ich hatte das Gefühl, als litte ich wahrhaftig, ehrlich und tief bei allem, was mir über diesen Krieg gesagt wurde, diesen schrecklichen Krieg. So verging die Zeit, und mir ging es gar nicht gut. Morgens übergab ich mich, meine Brust wurde schwerer und schmerzte. Manchmal dachte ich, dass ich eine Geschwulst hatte. Vielleicht lag es nur an der Hitze, die in diesem Frühsommer außergewöhnlich war. Tag für Tag brannte die Sonne wie eine feurige Kugel. Siedende Hitze herrschte auch im Süden, wo die Schiffe wie schwimmende Küchenherde schmorten. Denn das Deck bestand aus Eisen, genau wie die Einrichtung der Kajüten, bis herab zum letzten Kommodenschubfach. Gaetano hatte mir erzählt, wie die Luft in der Kajüte drückte, dass einem schwindelig davon wurde, dass an Schlaf nicht zu denken war. Ich dachte an das, was die Mannschaften und die Offiziere auf diesen Höllenfahrten durchmachten, und mein eigener Zustand kam mir unbedeutend vor. Und so rückte der Frühsommer vor, die Hitze hielt mit ihm Schritt. Das diesige Meer, der diesige Himmel waren ein einziges weißes Glühen.
    Dann kam der furchtbare Tag, an dem eine telegraphische Meldung berichtete, dass ein Torpedo die Transylvania getroffen habe und das Schiff gesunken sei. Ich habe wenig Erinnerungen an diesen Tag. Ich sehe nur meine Mutter, die steif und stumm auf ihre Füße starrte. Plötzlich begann sie heftig

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