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Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Comino hatte er schlichten können. Außer einer flüchtigen Umarmung und dem kurzen Bericht über den Reitunfall war jedes vertrauliche Gespräch unmöglich, denn bevor er sich vor Sonnenaufgang zur Transylvania rudern ließ, gab es noch vieles, was er mit den Eltern zu besprechen hatte. Ich verbrachte eine kurze, unruhige Nacht. Und dann wurde es hell, und Paola klopfte an die Tür. Gaetano frühstückte bereits. Im Garten war die Dämmerung mit ihrem Rosa und Grau. Einige Vögel zwitscherten verschlafen. Ich holte mir eine Tasse Tee mit Milch, setzte mich neben Gaetano. Ich wagte es kaum, ihm in die Augen zu blicken, der Mut sank mir, meine Hände zitterten. Meine Nerven hatten nicht Zeit gefunden, sich zu beruhigen. Ich sagte halblaut:
    »Ich habe mit Saburo gesprochen.«
    »So, worüber denn?«
    Er lächelte mir zu, war aber mit den Gedanken weit weg. Ich warf einen Blick auf Mutter, die im Morgenkleid und mit blassem Gesicht ins Speisezimmer kam, und fügte, noch leiser, hinzu:
    »Er hat dir einiges zu sagen.«
    Gaetano trank einen Schluck und nickte.
    »Dazu wird er bestimmt Gelegenheit haben.«
    Seine heitere Stimme, seine scheinbare Unbekümmertheit lösten zum ersten Mal eine Art Zorn in mir aus; mein Bruder mit den spöttisch-lustigen Augen, der schmalen Taille unter der tadellos geschnittenen Uniform benahm sich nicht wie ein Mann, der in den Krieg zieht. Wo schreckliche Schatten sich erhoben, begegnete er ihnen mit Leichtfertigkeit. Er schien nichts ernst zu nehmen, nicht einmal sich selbst. Dann wurde mir plötzlich klar, dass es kein Zorn war, nein: Es war Panik. Sie stieg in mir auf, aus den Schneckengängen meiner Gedanken, ich konnte ihr keinen Einhalt gebieten. Aber nein, dachte ich, nein, alles wird wie üblich verlaufen, die U-Boote werden einen Angriff auf die Royal Navy nicht wagen, und in einem Monat ist Gaetano wieder da, und vielleicht ist dann der Krieg vorbei, und ich werde meinen Eltern beibringen müssen, dass ich Saburo heirate und nach Japan ziehe. Es wäre ein Ereignis, das unvorhergesehen und gewiss schmerzlich für sie sein würde, sie würden eine Zeit lang wohl schwer daran tragen, aber letztlich mit den Tatsachen schon zurande kommen. Doch irgendwie schien Gaetano meine Beklemmung zu spüren.
    »Du siehst schlecht aus, kleine Schwester. Sag, wovor hast du Angst?«
    »Ich weiß es nicht. Vor furchtbaren Dingen.«
    »Es wird nicht ärger werden als sonst. Mach dir keine Sorgen, Cecilia. Trink in Ruhe deinen Tee. «
    Ich nickte mit zugeschnürter Kehle. Er berührte meine Wange.
    »Was ist? Macht dir deine Wunde immer noch zu schaffen?«
    Ich schüttelte den Kopf; ich bemerkte, dass Mutter mich anschaute, und wandte rasch den Blick ab. Inzwischen schob sich Gaetano hastig ein paar Bissen Pfannkuchen in den Mund, wechselte einige lustige Worte mit Vater. Die Lässigkeit, die ich an ihm bemerkte, war nicht gewichen, sondern gewachsen. Sein Gepäck war bereit; draußen wartete schon Timeo mit dem Coupé, das ihn zum Hafen bringen würde.
    »Jetzt muss ich aber gehen«, sagte Gaetano. Wir begleiteten ihn nach unten. In der Halle umarmte Gaetano die Eltern. Mich drückte er lange und zärtlich an sich. Irgendetwas stimmte nicht. Und da, an der offenen Tür, erkannte ich die Wahrheit: Im Gegensatz zu seiner gelassenen Stimme, seinen lockeren Worten, blickten seine Augen düster und verstört. Sein ganzes Leben war wie ein Bild in diesen Augen eingefangen. Es war, als ob er die Zukunft sah – seine Zukunft. Er lächelte dabei, wie man einen Mantel über eine Wunde ziehen würde, weil man sich schämt, sie zu zeigen. Er täuschte die Eltern, er täuschte auch mich, indem er sich lässig gab, während er unter seiner gespielten Unbekümmertheit ebenso verzweifelt war wie Saburo in seinem stillen, verhaltenen Schmerz. Und doch wich das Lächeln nicht von seinem Gesicht, und seine Stimme klang unentwegt heiter.
    »Leb wohl, kleine Schwester. Und trage Flower nichts nach, Pferde mögen eben keine Schlangen. Bald werden wir wieder zusammen ausreiten. Auch mit Saburo, wenn er dann noch da ist.«
    Wir traten aus der Tür in den kühlen, glasklaren Morgen, und Timeo kümmerte sich um Gaetanos Gepäck.
    » Gib schön auf dich Acht«, sagte Vater.
    »Tu ich – tu ich bestimmt«, versicherte Gaetano.
    Er hob ein letztes Mal die Hand, zeigte dieses besondere Lächeln, das ich so liebte, diese Mischung aus Zärtlichkeit und Spott. Dann stieg er in das Coupé. Timeo hob die Peitsche, das Pferd setzte

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