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Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Zeit und bei der Hitze würde ich kaum Bekannte dort treffen. Es stimmte schon, dass ich noch schwach war, dass meine Beine mich kaum zu tragen vermochten. Aber vielleicht kam es nur von der Aufregung? Ich setzte mich auf eine Bank, im Schatten einiger Bäume, die schon voll von kleinen hellgrünen Blättern waren. Als die Kirchenglocken drei Uhr schlugen, gab ich Paola Geld und erteilte ihr den Auftrag, einige Besorgungen zu machen, und zwar so, dass sie Geschäfte aufsuchen musste, die weit voneinander entfernt lagen. Sie nahm das Geld und machte sich auf den Weg. Die Vögel und die Bäume waren still, ich hörte nur mein Herz klopfen. Doch ich brauchte nicht lange zu warten, schon knirschten leichte Schritte auf dem Kies. Ein Schatten berührte mich, und Saburo setzte sich neben mir auf die Bank. Zitternd streckte ich die Hand nach der seinen aus. Er presste meine Finger in seine feuchte Handfläche. Er trug wieder seine Marineuniform. Wir sahen einander an, mit Qual in den Augen. Ich betrachtete seine Gesichtszüge, das Beben seiner Lippen, seinen dunklen, verzweifelten Blick. Leise sagte ich:
    »Meine Zofe macht Besorgungen. Aber ich habe nur wenig Zeit.«
    Er nickte.
    »Ich war schon früher da und habe gesehen, wie sie ging. Hör zu, ich werde mit Gaetano sprechen. Gleich morgen. Wir brauchen seine Zustimmung. Takeo habe ich mich bereits anvertraut; er wird uns unterstützen. Du wirst ihn kennenlernen, sobald wir aus Ägypten zurück sind. Er wird dich sofort mögen, ich weiß es ...«
    »Sprich«, flüsterte ich. »Hör nicht auf! Ich liebe deine Stimme. Ich will sie in meinem Herzen bewahren ...«
    »In Japan«, erklärte er, »ist die Heirat selten eine Herzensangelegenheit zwischen Mann und Frau, sondern ein Knoten, der zwei Familien bindet. Aber die Welt ändert sich, und Ausnahmen sind zugelassen. Menschen mit eigener Lebensauffassung können Zustände kennen, ohne sich ihnen selbst unterziehen zu müssen. Das wird bei uns durchaus gestattet.«
    »Wenn meine Eltern mir die Heirat verbieten, werde ich mit dir fliehen, Saburo.«
    »Nein, sie werden Einsicht zeigen. Du hast allen Grund, auf deine Familie stolz zu sein. Verlass dich auf Gaetano und auf mich! Du darfst keine Angst haben, Liebes. Alles wird gut. «
    Er hob meine Hände an sein Gesicht, küsste meine Handflächen. Ich schluchzte leise, tränenlos. Konnten sich zwei Herzen verbinden, ohne dass daraus Schmerz und Leid entstanden? Die Zeit verrann, sie rann uns beiden aus den Händen. Paola konnte jeden Augenblick wieder da sein. Mit tastenden, unsicheren Fingern zog ich die Muschelseide aus meiner Bluse hervor. Saburo starrte mich an, ohne zu begreifen. Ich erwiderte lächelnd seinen fragenden Blick.
    »Ich habe es zerschnitten, Saburo. Ein Teil für mich, ein Teil für dich. Es ist das Kostbarste, was ich dir geben kann. Gaetano wird es verstehen.«
    Er nahm das Tuch, hob es an seine Lippen.
    »Es ist noch warm«, flüsterte er. »Warm von deiner Haut ...« »Trage es immer bei dir. Es wird dich beschützen ...«
    »Ja«, flüsterte er, »nahe bei meinem Herzen.«
    Ich sah zu, wie er es sorgfältig zusammenfaltete, unter seine Jacke in seine Hemdtasche gleiten ließ. Dann sagte er:
    »Du wirst jetzt eine Weile auf mich warten müssen. Aber ich komme wieder.«
    Ich hob das Kinn, straffte die Schultern.
    »Ich werde auf dich warten.«
    Meine Augen füllten sich mit Tränen. Doch ich weinte nicht. Männer, die in den Krieg ziehen, wollen sich an ein Lächeln erinnern. Vielleicht macht sie dieses Lächeln unverwundbar? Ich wollte es glauben. Je schneller er jetzt von mir ging, desto früher würde er wieder zurück sein. Das Warten begann, es hatte längst begonnen. Und so lächelte ich ihn an, mit zitterndem Mund.
    »Geh jetzt, bitte! Geh ... «
    Ein letztes Mal berührten sich unsere Lippen. Und da sah ich, wie seine Augen dunkel wurden, dunkel von Tränen. Unsere Hände löste sich; meine Hand fiel herunter wie ein welkes Blatt. Er erhob sich, und ich sah vor mir im Gegenlicht einen Marineoffizier mit einem fremdartig starren, von der Sonne verbrannten Gesicht, der sich steif vor mir verbeugte. Und dann ging er, allein, abwesend, trat aus der klaren Nähe hinaus in die flirrenden Luftschleier, wo er zum dunklen Schatten wurde, zum Phantom. Und dann war er fort; und trotz der warmen Aprilsonne und der Glut in meinem Innern fror ich, fror bis ins Mark.
    Gaetano kam erst abends von der Reise zurück. Er war ziemlich müde und gähnte. Den Streit in

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