Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
Vom Netzwerk:
Besucher kamen nur wenige: einige nahe Verwandte und Freunde, mit künstlich zuversichtlichen Worten und einem vorgetäuschten Lächeln auf dem Gesicht. Aber das Lächeln gefror, und die Worte versiegten, sobald sie den Gestank im Zimmer rochen, den Gestank der schwärenden Wunden. Bald blieben die Besucher aus; es kam nur noch der Vikarius, Pater Del Savio‚ der an Gaetanos Bett den Rosenkranz betete. Vielleicht brachten ihm die Gebete Trost, vielleicht wirkten sie einschläfernd, jedenfalls schickte Gaetano den Vikarius nie fort. Außerdem wäre es unschicklich gewesen. Es waren Regeln wie beim Spiel, die beachtet werden mussten. Außer Dr. Fonseca, der ihn mit Morphium versorgte, kamen nur noch die Eltern und sein Kammerdiener an sein Bett. Selbst ich war unerwünscht; Mutter war der Meinung, dass der Anblick der entsetzlichen Wunden mir schaden könnte. Aus diesem Grund war ich erstaunt, als der alte, würdige Notar Abel Preti, der unser Familienvermögen verwaltete, eines Tages an sein Bett gerufen wurde. Noch erstaunter war ich, als Gaetano, nachdem er sich lange mit dem Besucher beraten hatte, mich zu sich bat. Der Notar war noch anwesend. Nach einer höflichen, etwas kurzatmigen Begrüßung ließ er mich wissen, dass er ein Testament aufsetzen würde, das mich und später mein Kind – Junge oder Mädchen – zu Gaetanos Alleinerben machten. Gaetano hatte es eilig. Er wusste, dass die Anfälle von Schwäche und Fieberwahn ihn bald daran hindern würden, klar zu denken. Der Notar fertigte die Dokumente an. Mit den Eltern als Zeugen unterschrieben Gaetano und ich die Papiere, die mich zu einer reichen, unabhängigen Frau machten. Außer Gaetanos Vermögen, das auf der Bank lag, erbte ich ein Haus und ein großes Grundstück auf Sizilien, mit Mandel- und Olivenbäumen, und dazu eine Villa in Südfrankreich, bei Nizza, die eine längst verstorbene Tante infolge alter Familienstreitigkeiten nicht ihren eigenen Kindern, sondern Gaetano vermacht hatte. Das Haus sei in schlechtem Zustand, meinte der Notar, lag aber in einer guten Gegend; man müsste es eben in Ordnung bringen. Ich hörte nur mit halbem Ohr zu. All das war für mich im Augenblick nicht wichtig. Gaetano starb, und meine Welt rutschte unaufhörlich dem Chaos entgegen. Täglich vergrößerte sich der Abstand zwischen uns wie treibendes Packeis, brachte uns außer Nähe, außer Berührung. In Gaetanos matten Augen, auf seinem eingefallenen Gesicht lag bereits ein Leuchten, das seinen Ursprung jenseits dieser Welt hatte. Jetzt, da alles geregelt war, drängte er mich, Valletta zu verlassen.
    »Du musst gehen, kleine Schwester. Es ist Krieg, du hast eine anstrengende Reise vor dir.«
    Seine Wangen waren hochrot. Er hatte seit einigen Tagen Lungenentzündung. Seine Kräfte waren erschöpft, er setzte der Krankheit keinen Widerstand entgegen.
    »Ich kann dich nicht verlassen! Ich kann es einfach nicht!« »Kleine Schwester«, sagte er. »Du musst jetzt an dein Kind
    denken. Dein Kind will leben, aber ich werde es nicht sehen.« »Was wird aus dir?«
    »Nichts.« Er antwortete mit dumpfer Endgültigkeit. »Mein Leben ist vorbei. Und ich glaube, dass ich lieber sterbe als so zu sein, wie ich jetzt bin. Du verstehst mich doch, kleine Schwester? Nie mehr tanzen, nie mehr Tennis spielen zu können, von Mutter abhängig zu sein, von Salvu, von Andrea, ja, sogar von dir. Was ist das denn für ein Leben? Gib mir etwas Wasser, bitte. Halt mir den Kopf, sei so gut, ich bringe ihn nicht mehr hoch! Soll das jetzt immer so sein? Ich hatte ein besseres Leben...«
    » Gaetano, ich brauche dich. Lass mich nicht allein!«
    Ach, wie ich mich selbst hasste! In meiner Stimme klang Panik mit, jene unvernünftige, namenlose Angst eines Kindes, das man in der Dunkelheit allein lässt. Da lächelte er plötzlich wie einst. Es war bestürzend, die Zärtlichkeit und den Spott in seinem Lächeln zu sehen. Doch es war nur das Phantom eines Lächelns, ein vorübergehender Hauch.
    »Du braucht nur dich, kleine Schwester. Du bist stark. Dein Kind macht dich stark.«
    Ich richtete mich auf, trocknete meine Tränen mit dem Finger.
    »Ich werde stark sein. Ich verspreche es dir. Sag, bist du wieder schläfrig? Soll ich jetzt gehen?«
    »Nein, mir ist nur kalt.«
    Ich streckte die Hand aus, berührte seine Schulter. Seine Haut war klamm und starr, wie hart gefrorenes Eis.
    »Ich hole dir noch eine Decke.«
    »Ja, noch eine Decke«, murmelte er. »Leg sie ... dahin, wo meine Beine waren. Es

Weitere Kostenlose Bücher