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Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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unter der verzehrenden Flamme meiner Trauer. Dicke Schweißtropfen, salzig wie Tränen, rinnen mir unter dem Nachthemd über den Körper. Manchmal kreisen Flecken vor meinen verklebten Augen. In der Mitte besteht eine dunkle, geheimnisvolle Stelle. Wie der Eingang einer Höhle kommt sie mir vor. Doch weit hinten schimmert es hell, es ist eine warme Finsternis zwischen mir und diesem Licht, und am Ende des Tunnels bewegen sich schemenhaft zwei Gestalten. Gaetano und Saburo sind es, die mich heimsuchen. Vielleicht bilde ich es mir nur ein, dass ich sie zunehmend deutlicher sehe? Ein Glanz geht von ihnen aus, der ihre ganze Gestalt verklärt. Sie schritten bereits durch das Tor des Todes, sie rufen mich, sie reichen mir die Hand. Wir tanzen zu den Klängen vergessener Walzer, tauchen in kühle Wellen, reiten auf dem Rücken treuer Pferde. Mit Saburo und Gaetano wandere ich zwischen Sonne und Mond, die »Faldetta« umhüllt mich wie ein Segel. Auch du, mein Kind, wirst mich später in diesem Licht sehen, immer drei Schritte über den Horizont hinaus, auf der anderen Seite des Weges. Du brauchst nur nach mir Ausschau zu halten, ich bin da! Wie kann ich wirklich fern sein, wenn ich dir so nahe bin?

33. Kapitel
    U nd so war es auch«, sagte Francesca. » Sie war immer ganz in der Nähe. Ich sah sie, wenn ich sie sehen wollte. Sie lebte einfach weiter, in geringer Entfernung von mir, beschützte mich und gab mir Kraft. Ich habe es immer gespürt. Nur so habe ich es überstanden.«
    Sie führte mit der Hand eine ungeschickte Gebärde aus, doch ihre Stimme klang sachlich. Sie sah mich dabei freundlich an. Cecilia erschien ja auch mir, sie hatte unverkennbar Sympathie für mich. Und dass sie die »Faldetta« trug, war nicht ungewöhnlich. Traumgestalten wandern verhüllten Hauptes zwischen den Welten.
    Siebzehn an ihrem ersten Ball, neun Monate später tot. Cecilia war nie einverstanden gewesen mit dem, was kam. Sie wollte Spuren hinterlassen. Etwas war da, hatte Gestalt angenommen. Ich war nicht eine Frau, deren Phantasie sich an den altersdunklen Malereien entzündete, die an den Wänden der Kirchen hingen. Doch ich glaubte – wenn ich überhaupt an etwas glaubte – an Vorbedeutungen, an Omen, an schützende Mächte. Das war eine Sache, die Francesca gut verstehen konnte.
    »Woran ist Cecilia gestorben?«, fragte Kazuo.
    Wir tranken Tee im Salon. Francesca lag auf der Chaiselongue, unter dem Kronleuchter aus blitzendem Kristall. Natürlich trug sie Rot, und natürlich hatte sie ihr Kleid in perfekte Falten gelegt, sodass ihre magere Gestalt gebieterisch und theatralisch aussah. Sie war immer noch schön mit ihrem schmalen Gesicht, der feinen, gerade genügend langen Nase, dem Funkeln in den schwarzen Augen. Ein Funkeln, das nie erlöschen würde. Sie würde auch nie eine andere werden. Nicht mehr mit neunzig.
    Ricardo saß ihr, auf besondere Weise entspannt, gegenüber. Ricardo war es stets leichter erschienen, mit Dingen befreundet zu sein als mit Menschen; doch die Gespräche mit Kazuo, sein leichtes, humorvolles Erzählen, hatten etwas bewirkt. Kazuos Hang zum Methodischen kam dem Ricardos vielleicht entgegen. Sein Wissen schöpfte Kazuo aus verschiedenen Quellen. Er verfügte über verbindliche Wendungen, über Lächeln, über Gesten, die sanft und eindrucksvoll waren. Ricardo, in den Augen vieler Leute eine Jammergestalt, fühlte sich ernst genommen. Mir war, als gelänge es ihm endlich, fester in einer Welt zu stehen, der er vormals nichts abgewinnen konnte außer Abneigung.
    Francesca hob ihre Zigarettenspitze an die Lippen.
    »Wie sie starb? Es gibt vieles, das ich nicht weiß. Ihre Aufzeichnungen hören plötzlich auf. Ich habe keinen Grund, an den Fähigkeiten der Hebamme zu zweifeln, und denke, dass Cecilia gut gepflegt wurde. Offenbar setzten die Wehen frühzeitig ein, und Cecilia verlor ihr Fruchtwasser. Die Hebamme tat, was sie konnte. Cecilia brachte mich zur Welt, hatte jedoch zu viel Blut verloren. Sie lebte nur noch einige Stunden und entschlief inmitten der allgemeinen Kopflosigkeit. Und was jetzt? Wohin mit dem Kind? Fürs Erste nahm die Hebamme mich an sich, besorgte mir eine Amme. Inzwischen wurde Cecilia zu Grabe getragen: Die Eltern ließen verlauten, dass sie an Schwindsucht gestorben war; Schwindsucht, eine Krankheit, die damals noch verbreitet war, trat oft nach einer Lungenentzündung ein. Aber an mir, der Erbin Gaetanos, haftete ein Makel. Vater unbekannt? Um Himmels willen! Die Eltern mussten

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