Muschelseide
träge. Das Beschwingte, Gläserne dieser Stadt erzählte eine eigene Geschichte, doch Worte für Farben und Eindrücke fielen mir nicht ein.
Kazuo wohnte in einem Gebäude aus braunem Granit. Die Glastüren teilten sich, als er den Code eintippte, und schlossen sich sofort hinter uns. Der Eingang war schlicht, aber aus Marmor, und eine Vase mit einer einzelnen Blume unterstrich die karge, aber erlesene Stimmung. Im achten Stock öffneten sich lautlos die Aufzugtüren. Dahinter lag ein schmaler Gang mit einem Spannteppich. Kazuos Studio befand sich gleich um die Ecke. Er tippte erneut einen Code ein, ein winziges grünes Licht blinkte. Ich zog meine Schuhe aus und trat hinter Kazuo in eine Wohnung, von der ich zunächst nicht merkte, wie klein sie eigentlich war. Die Wände, mit einer cremefarbenen Seidentapete bespannt, waren mit vielen Einbauschränken versehen. Die Möbel aus dunklem Holz waren elegant und formvollendet. Auf dem Tisch standen in einer Keramikvase frische gelbe Tulpen. Ich sagte lächelnd:
»Du wirst offenbar erwartet.«
»Das ist ein Gruß von Frau Hayashi. Ich habe ihr gemailt, dass ich komme. Bei uns haben Zugehfrauen ihren Computer. Frau Hayashi kommt regelmäßig, wischt Staub und lüftet die Bettwäsche. Sie wird auch eingekauft haben.«
Eine Glastür führte in die Küche, die ebenso klein wie praktisch war; Kazuo wies auf den gefüllten Kühlschrank.
»Da, siehst du?«
Eine Schiebetür aus Holz und Papier trennte das Schlafzimmer vom Wohnbereich. Die Futons – die japanischen Betten – waren bereits auf der Matte ausgebreitet, mit einer Sommerdecke aus Baumwolle versehen. Ich starrte Kazuo perplex an.
»Zwei Futons?«
Er grinste ein wenig zerknirscht.
»Nun, Frau Hayashi wurde mitgeteilt, dass ich in Begleitung komme.«
»Du denkst auch an alles«, sagte ich lachend.
Das Badezimmer, gleich daneben, war mit einer tiefen Wanne versehen, in der man nur sitzend baden konnte, aber Wasser bis zum Hals hatte. Über dem formschönen Waschbecken leuchtete ein großer Spiegelschrank. Die Toilette befand sich, wie überall in Japan, in einem getrennten Raum, und vor der Tür standen zwei Paar Plastikpantoffeln.
»Nur sechzig Quadratmeter«, sagte Kazuo. »Ich leistete mir die Wohnung, als ich das Grundstück meiner Eltern verkaufte. Das Haus musste ich abreißen lassen.«
»Warum?«, fragte ich.
»Ach, es war schon dreißig Jahre alt. Für uns gelten Häuser aus dieser Zeit als unmodern und unpraktisch. Wer heutzutage ein Grundstück kauft, stellt andere Ansprüche. Diese Wohnung ist auch nicht mehr ganz modern. Aber Roppongi ist ein gesuchtes Viertel. Sollte ich jetzt die Wohnung verkaufen, würde ich kein schlechtes Geschäft machen.«
»Lass das lieber«, sagte ich. »Ich habe Kronleuchter, Plüschsofas und alte Gemälde bis über beide Ohren satt. Und ich mag Badezimmer, die eine tiefe Wanne haben.«
Er zwinkerte mir zu.
»Keine Treppen sind auch gut, oder?«
Wir waren beide müde, duschten schnell und legten uns schlafen. Ich trug eine blauweiß gemusterte » Yukata «, einen leichten Schlafkimono, von Kazuo. Ich genoss das frische Gefühl der gestärkten Baumwolle auf meiner Haut. Kazuo nickte amüsiert, als er sah, wie meine Finger sich sofort erinnerten, wie die Schärpe zu verknoten war.
»Du hast deine Lektion gut gelernt«, stellte er fest. »O ja, ich habe geschickte Hände.«
Wir schliefen, wachten mitten in der Nacht auf, beide nahezu im selben Augenblick. Zeitverschiebung. Unsere innere Uhr stand kopf, alles wirkte gleichzeitig überdeutlich und unscharf. Die Fenster waren schalldicht, alles war still, nur die Klimaanlage summte leise. Wir tasteten einander entgegen, meine Hände fassten Kazuos Hände, hielten ihn fest. Meine Finger strichen seine Arme entlang, fühlten die Ellbogen, glitten über die Schultern zum Hals. Zu Hause, bei meinem Vater, hatten wir nicht gewagt, uns zu lieben; jetzt aber hatten wir unser eigenes Leben. Unter der blauen Yukata, deren Gürtel ich tastend aufknotete, gehörte Kazuos Körper, seine helle, weiche und beinahe zarte Haut, ganz mir. Die Wärme des einen ging zum anderen, in unserem Schweigen lag ein Begehren, das vielleicht einer Erinnerung entsprach, die nicht die unsrige war, aber jetzt auch ein Teil von uns wurde. War Cecilia hier? Bei uns, in diesem Zimmer, im Herzen von Tokio? Ja, sie war auch hier, sie freute sich, sie lachte leise; sie hatte immer wieder neue Augen, ein neues Gehör, sie war reich an Erinnerungen, die
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