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Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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seinen Laptop. Es dauerte nicht lange, da hatten wir unseren Flug. Die Maschine ging von Valletta nach Zürich, und dann nonstop nach Tokio. Ich teilte meinem Vater mit, dass wir in zwei Tagen fliegen würden. Er nahm es zur Kenntnis, als ob es zur Routine gehörte. Doch ich sah ein Flackern in seinen Augen, einen feuchten Schimmer. Seine Einsamkeit hatte stets mit der Abwesenheit von Menschen zu tun, die er mochte. Die gleichmäßigen, heiteren Tage mit Kazuo hatten seine schlichte Seele berührt. Etwas in Ricardo hatte sich geöffnet. Doch bezeichnenderweise fragte er Kazuo nicht: Wann werden wir uns wiedersehen? Für ihn war es noch immer eine Zumutung, Gefühle zu zeigen; ja, er scheute sich davor, sie zuzulassen, und verschanzte sich lieber hinter distanzierter Unbeholfenheit.
    Kazuo sandte Misa eine E-Mail, in der er unser Kommen ankündigte. Misas Antwort traf unverzüglich ein: Sie bat uns, zu ihrem Universitätsinstitut zu kommen, und schlug auch sofort ein Datum und ein gemeinsames Mittagessen vor.
    In der letzten Nacht vor dem Abflug sah ich Cecilia im Traum. Sie trug ihren weißen Tennisdress und einen leichten Pullover, der ausgesprochen modern aussah, dazu weiße Socken und Leinenschuhe. Ein Band hielt ihr üppiges Haar aus dem Gesicht. Anmutig parierte sie die Bälle, die ihr ein dunkel gelockter junger Mann zuspielte. Seine Gestalt war nur in Umrissen erkennbar, da sie sich im flüssigen Blau der Entfernung bewegte. Cecilia aber sah ich vollkommen deutlich. Sie lachte, ihre hübschen Zähne blitzten, während ihre präzisen Bälle über das Netz flogen. Sie war mehr als wunderschön, sie war stark und anmutig und auf ewig lebendig. Hinter dem Tennisplatz stand eine Pinie; zwischen ihren Zweigen zitterten die Strahlen der Sonne. Cecilia tanzte in diesem Licht, zeichnete eine lange, sich schließende Ellipse auf dem roten Feld. Jede geschmeidige Bewegung ihres Körpers war ein Überströmen von Kraft und Freude. Plötzlich hob Cecilia einen Ball auf; sie tat es sehr gekonnt, mit einem kurzen Schwung ihres Fußes. Sie ließ den Ball auf dem Schläger hüpfen, kam mit leichten, graziösen Schritten auf mich zu. Ihr Haar wehte im Wind und schimmerte bronzebraun und rötlich im Licht. Doch jetzt war ihr Gesicht kein Kindergesicht mehr. Es war schmal, leidend, mit schwermütigem Mund und gebieterisch funkelnden Augen:
    »Nun mach schon!«, rief sie mir zu, mit einer Stimme, so hell wie die Stimme einer Lerche. »Nun hol sie endlich her!«
    Und da erwachte ich, verwirrt, benommen, mit dem Bild vor Augen von dem, was von Cecilia jetzt übrig war: einige Knochenreste und das Grinsen ihrer makellosen Zähne in der Finsternis ihres verfaulenden Sarges. Doch ich empfand bei dem Gedanken weder Angst noch Schmerz, denn Cecilia selbst lag nicht unter der Erde, sondern war überall, wo sie wollte, tanzte frei in Sonne, Wasser und Licht. Und zwang mir ihren Willen auf, dachte ich, während ich mich hochsetzte und die Füße auf den kalten Boden stellte. Alle Glocken von Valletta läuteten zur Morgenandacht; Domenica war schon wach und bereitete das Frühstück. Es duftete nach Rührei und gutem Kaffee. In drei Stunden würde unser Flugzeug nach Zürich starten.
    Die Redaktion hatte für uns Plätze in der Business Class reserviert, damit Kazuo seine Beine ausstrecken konnte. Als die Motoren gleichmäßig summten, erzählte ich ihm von meinem Traum und von Cecilias geheimnisvoller Aufforderung.
    »Hol sie endlich her!«, hat sie gesagt. »Von wem redete sie eigentlich?«
    »Weißt du es nicht?«, fragte er.
    »Nicht die Spur.«
    Cecilias Kraft war unverbraucht. Ihr Wesen enthielt bereits mein tiefes, unverwechselbares Wesen. In meinem Bewusstwerden machte ihre Geschichte einen Sekundenbruchteil aus, doch alles, was ich einmal sein würde, war bereits in ihr enthalten. Und auf einmal wurde mir klar, warum ich so schnell bereit gewesen war, alles stehen und liegen zu lassen und nach Tokio zu fliegen. Seitdem ich erfahren hatte, dass Japan auch zu meiner Vergangenheit gehörte, würde ich die Menschen, die Städte, mit neuen Augen erleben, mit neuen Gefühlen, mit neuer Aufmerksamkeit.
    Nach der Zwischenlandung, als wir bereits über das Baltische Meer flogen, sagte Kazuo plötzlich zu mir:
    »Denke nicht, dass ich Tokio vermisst hätte. Noch vor ein paar Jahren habe ich immer gedacht, das ist der Platz, wo ich sein will, die Stadt, die mich immer wieder zurückruft. In Tokio fühlte ich mich beschützt, zu Hause, sicher.

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