Muss ich denn schon wieder verreisen?
ausgerechnet nach Israel?« wollte Sven wissen. »Weshalb fliegst du nicht auf die Kanaren, da ist es um diese Zeit auch noch warm?«
»Ins Winterdomizil für betuchte Rentner? Nee, danke! Ich habe keine Lust, mich schon am Frühstückstisch über die zweckmäßige Therapie bei Bandscheibenbeschwerden zu unterhalten.«
»Was gibt es in Israel überhaupt zu sehen? Außer Juden natürlich und Obstplantagen.« Gelangweilt blätterte Katja den Prospekt durch. »Da fährt man doch nicht hin, um Urlaub zu machen.«
Himmel noch eins, konnte mich die Sippe nicht mal einen eigenen Entschluß fassen lassen? »Vielleicht will ich diesmal etwas ganz anderes sehen als Strand und Palmen.«
Verblüfftes Schweigen. Dann die Stimme meines Herrn: »Möchtest du damit etwa andeuten, daß du auf deine alten Tage noch deinen Grundsätzen untreu wirst, die da lauten: Man biete mir Sonne, Meer, einen Liegestuhl, ein halbes Dutzend Bücher und drei Mahlzeiten am Tag?«
»Du redest von Urlaub, und dazu sind elf Tage zuwenig. Diesmal will ich ja bloß ein bißchen verreisen. Und zwar nach Israel, Altertümer begucken. Mit Irene. Basta!«
»Dann fahrt lieber nach Ägypten«, sagte Steffi. »Da ist alles noch viel älter.«
»Älter als was? Als wir?«
»Das auch, aber ich meinte eigentlich die Pyramiden. Damit können die paar Ruinen in Israel doch nicht konkurrieren.« Sie sah Sven fragend an. »Gibt es da überhaupt welche? Ich dachte, das ganze Land ist mal Wüste gewesen.«
»Vielleicht hättest du in der Schule lieber nicht aus dem Religionsunterricht austreten sollen«, bemerkte er weise, »dann wüßtest du nämlich, daß dieses Land mal Palästina hieß und besiedelt war von …«
Abrupt löste sich die Diskussionsrunde auf. Sobald Sven mit seinen Vorträgen über fremde Länder anfängt, vorzugsweise über solche, die er selbst nie bereist hat, treibt er auch den geduldigsten Zuhörer nach längstens fünf Minuten in die Flucht. Seine Kenntnisse bezieht er überwiegend aus teuren Zeitschriften, von denen er ein halbes Dutzend abonniert hat, und weil das immer noch nicht genügt, konserviert er jeden Reisebericht im Fernsehen auf Video. Casablanca findet man bei ihm nicht, doch garantiert Die letzten Paradiese der Erde (oder so ähnlich) vom Nordpol bis nach Feuerland. Von Israel hatte er natürlich auch was, und nachdem ich mir den Film angesehen hatte, fand ich meine Idee gar nicht mehr so gut. Ziemlich karge Landschaften, wenig Wasser, viele Steine, viele Ziegen, staubig war’s auch – was, um alles in der Welt, sollte ich da überhaupt?
Zurück konnte ich nicht mehr, die Reise war fest gebucht, und – was letztendlich ausschlaggebend gewesen war – Irene würde mitkommen. »Eigentlich wollte ich ja mal nach Thailand«, hatte sie gesagt, »aber bis Bangkok fliegt man vierzehn Stunden, nach Tel Aviv bloß vier.«
Als einzige unserer fünf Nachkommen wohnten nur noch die Zwillinge zu Hause, doch deren Kochkenntnisse waren inzwischen so weit über das Miracoli-Stadium hinausgekommen, daß sie auch schon Schnitzel braten und Nudelsalat machen konnten. Den Umgang mit der Mikrowelle beherrschen sie sogar besser als ich. Meistens verkalkuliere ich mich nämlich mit den Aufwärmzeiten und darf hinterher die übergekochte Milch von den Wänden kratzen. Ich brauchte also nur dafür zu sorgen, daß genügend Fertiggerichte und genügend Schnitzel in der Kühltruhe lagen.
Zwei Tage vor Reisebeginn ein letztes Telefonat mit Irene. »Ich fliege schon morgen früh und übernachte bei Freunden in Garching«, teilte sie mir mit. »Denen bin ich seit drei Jahren einen Besuch schuldig.«
»Garching? Liegt das nicht in der Nähe von München?«
»Eben drum!«
»Und wie kommst du dann nach Frankfurt?«
Ein paar Sekunden herrschte Stille in der Leitung. »Wieso Frankfurt? Wir starten doch in München.«
Irgendwie mußte mir das entgangen sein. Den Frankfurter Flughafen kenne ich genau, da fliege ich immer ab, vom Münchner wußte ich nicht mal, wo er ist. »Bist du sicher?«
»Natürlich bin ich sicher«, kam es aus dem Hörer. »Im übrigen hast du die Tickets, also sieh gefälligst nach!« Sie hatte recht. Abflug München 15.50 Uhr.
»Sag bloß, du wärst nach Frankfurt gefahren.«
»Natürlich nicht«, behauptete ich sofort und hoffte, daß es überzeugend genug klang. »Also es bleibt dabei: Um vierzehn Uhr vor dem EL-AL-Schalter.«
Schön und gut, doch wie sollte ich hinkommen? »Wer fährt mich übermorgen nach München?«
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