Muße: Vom Glück des Nichtstuns (German Edition)

schlichte Im-Sessel-Sitzen allerdings als zu radikal erscheint, dem empfehlen sich zwei Techniken, die ich selbst mit Vorliebe praktiziere: Atmen und Gehen. Sie mögen beide lächerlich einfach klingen, sind aber Methoden, die sich in vielen Stresssituationen als wirkungsvolle Soforthilfe anbieten.
    Denn der Atem ist das Bindeglied zwischen bewusstem Denken und unbewusstem Verhalten; jede körperliche und geistige Anspannung manifestiert sich automatisch in der Tiefe und dem Rhythmus unseres Atems. Sich in stressigen Situationen seines Atems bewusst zu werden, hat daher oft eine erstaunliche Wirkung. Man spürt deutlich, wo sich Anspannungen aufgestaut haben; alleine dadurch kann man sie leichter loslassen. Manchmal genügen sogar ein paar gezielte tiefe Ausatmungen, um aus einem Zustand verkrampfter Angestrengtheit wieder in eine entspannte Offenheit zu wechseln. Und das Schönste ist: Diese Technik ist überall verfügbar! Statt uns in der Warteschlange oder im Stau über verlorene Minuten zu ärgern, kann man diese Zeit umgehend zum bewussten Atmen nutzen. Auf diese Weise lässt sich sogar die in Kapitel drei beschriebene Atemmeditation zwanglos in den Alltag einbauen.
    Ähnlich hilfreich ist Spazierengehen (wer das altmodisch findet, kann gern walken ). Denn anders als beim schweißtreibenden Joggen verbietet sich dabei jede Art von Leistungsdenken. Gehen kann man ohne jeden Anspruch und Ehrgeiz, jedermann kann dabei sein individuelles Tempo anschlagen und seinem ureigenen »Trommelschlag« folgen. Wer träge ist, kommt körperlich in Schwung, wer unter Dampf steht, kann diesen beim Gehen ablassen. Zugleich ist man im Kopf so frei, dass die Gedanken in alle möglichen Richtungen schweifen können. Geistesarbeiter aller Art schätzen daher das Gehen als unschätzbare Quelle von Einfällen und Inspirationen (auch dieses Buch wurde zur Hälfte im Gehen entworfen). Das stundenlange Sitzen am Schreibtisch dagegen ist nicht nur Gift für den Kreislauf, sondern auch für die Kreativität. »Meine Gedanken schlafen ein, wenn ich sitze«, klagte schon Michel de Montaigne. 13
    Wenn Sie also einmal das Gefühl haben, nicht mehr aus noch ein zu wissen, sich geistig erschöpft fühlen oder unschlüssig sind, was Sie mit Ihrer freien Zeit anfangen sollen – gehen Sie einfach los! Diesem Impuls verdankt sich übrigens auch die alte Sitte des Pilgerns. Sie wird in unseren Tagen zunehmend wiederentdeckt und ist sicher eine der besten Arten, der Muße zu frönen.

5. Schluss
     
    E s klingt wie eine Plattitüde und wird doch von vielen Ratgebern ignoriert: Jeder Mensch ist einzigartig und jedes Leben individuell. Daher gibt es mit Sicherheit kein Pauschalrezept für die Muße, das für alle gleichermaßen gültig wäre. Für mich ganz persönlich haben sich jedoch folgende Erkenntnisse als hilfreich herausgestellt:
    • Glaube nicht, dass du die Muße umsonst bekommst. Im System der Gehetzten muss man dafür regelrecht kämpfen.
    • Rechne damit, dir selbst oder anderen gegenüber auch einmal unbequem werden zu müssen (»Was soll das heißen, du gehst heute nicht ans Telefon?«).
    • Suche die Gemeinschaft entspannter Menschen. Nichts entspannt so sehr wie der Kontakt mit begabten Müßiggängern.
    • Plane große Änderungen (Jobwechsel, Urlaubsreisen, Auszeiten etc.) nach Möglichkeit langfristig.
    • Schätze ebenso die kleinen Gelegenheiten zur Muße im Alltag.
    Sollten Sie im Laufe der Lektüre selbst auf andere Ideen gekommen sein – umso besser. Entscheidend ist, jene Form zu finden, die zu Ihrem Leben passt. Ehrgeizige Ansprüche und das Schielen auf andere schaden da nur. Und vor allem: Stressen Sie sich nicht mit der Muße! Denn mit ihr ist es ähnlich wie mit dem Glück: Die ständige Sehnsucht nach dem »wahren Glück« ist die größte Quelle unseres Unglücks. 14
    Die Vorstellung, wir müssten erst die perfekte Arbeit, den idealen Partner sowie die bestmögliche Wohnung finden, um glücklich sein zu können, führt notgedrungen zu permanenter Unzufriedenheit. Ebenso ist es mit der Muße: Ihr ständig hinterherzurennen ist die zuverlässigste Art, ihr aus dem Weg zu gehen. Gestehen wir uns daher zu, einmal stehen zu bleiben und ihr Zeit zu geben, uns einzuholen. Und wenn uns in solchen Momenten klar wird, dass wir das ständige Suchen auch sein lassen können – dann sind wir angekommen.

IHR WEG ZUR MUßE
     
    Stellen Sie auf diesen Seiten Ihren persönlichen Fahrplan zu einem entspannteren Leben auf. Welche