Muster - Steffen-Buch
darauf reagieren, auf Lehrer, die die blauen Flecke sehen und mit einem Kind umgehen müssen, das sich nicht aufs Lernen konzentrieren kann, und auf Verwandte, die ein-schreiten wollen, aber sich nicht trauen, die alten Beziehungen aufs Spiel zu setzen.
Dies ist mehr als ein Überlebensbericht. Es ist eine Geschichte über Sieg und Triumph. Selbst in den dunkelsten Zeiten, die wir durchleben, ist das Herz eine unüberwindbare Festung. Es ist wichtig, dass der Körper überlebt, aber es ist von noch größerer Bedeutung, dass die Psyche nicht zerstört wird.
Dies ist meine Geschichte und ganz allein meine. Jahrelang war ich in der Dunkelheit meiner Gedanken und meines Herzens gefangen. Ich war allein und ein bemitleidenswerter »Verlierer«. Zunächst wünschte ich mir nichts sehnlicher, als so wie alle anderen zu sein, aber dann schraubte ich meine Ziele höher. Ich wollte ein »Sieger« werden. Mehr als dreizehn Jahre lang diente ich meinem Land in der Armee. Heute diene ich meinem Land, indem ich Seminare und Workshops für andere Hilfsbedürftige abhalte und ihnen helfe, ihre Fesseln zu sprengen. Ich spreche aus eigener Erfahrung und vermittele misshandelten Kindern und jenen, die mit ihnen arbeiten, mein Wissen. Ich vermittele Lebens-weisheiten, die auf der grausamen Wirklichkeit von Kindesmisshandlung gründen und von der Hoffnung auf eine bessere Zukunft genährt werden. Und was am wichtigsten ist, ich habe den Teufelskreis durch-brochen und wurde ein Vater, der nur eine Schuld auf sich geladen hat: Er verwöhnt seinen Sohn zu sehr mit seiner Liebe und Fürsorge.
Es gibt heute Millionen von Menschen in unserem Land, die ganz nötig Hilfe brauchen. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, den Hilfs-95
bedürftigen meine helfende Hand zu reichen. Ich glaube, dass es sehr wichtig für die Menschen ist, zu wissen, dass sie die Schatten, die über ihrem Leben liegen, richten können, ganz gleich, was in ihrer Vergangenheit geschehen ist, und in ein glücklicheres Leben eintreten können.
Es ist vielleicht ein Paradox, dass ich heute möglicherweise nicht der wäre, der ich bin, wenn es meine schwarze Vergangenheit nicht gegeben hätte. Ich schätze und liebe das Leben zutiefst. Ich hatte das Glück, aus einer Tragödie einen Triumph machen zu können. Dies ist meine Geschichte.
Zu keiner Zeit in der Geschichte unseres Landes standen Familien wohl unter mehr Stress als heute. Wirtschaftliche und soziale Ver-
änderungen haben die Institution Familie bis an den Rand des Ruins getrieben und Kindesmisshandlung den Weg geebnet. Wenn die Gesellschaft das Problem in den Griff bekommen will, muss es offen gelegt werden. Nur wenn wir das Problem beim Namen nennen, können wir den Ursachen für Kindesmisshandlung auf den Grund gehen und wirklich Hilfe leisten. Die Kindheit sollte sorglos und von Spaß und Spiel geprägt sein und kein düsterer Albtraum.
Steven E. Ziegler
Lehrer
Der September 1992 begann wie jeder erste Monat eines neuen Schuljahres für mich. In meinem 22. Berufsjahr als Lehrer fand ich wie all die Jahre zuvor das gewohnt hektische, heillose Durcheinander vor.
Es gab knapp 200 neue Schüler, deren Namen ich lernen musste, und mehrere neue Lehrer, die es an Bord willkommen zu heißen galt. Es war an der Zeit, den Sommerferien Ade zu sagen und neue Aufgaben zu übernehmen. Alles ging seinen gewohnten Gang, bis ein Telefon-anruf mich am 21. September auf einen Schlag um zwanzig Jahre zurückversetzte: »Ein David Pelzer hat angefragt, ob Sie sich wegen eines Falles von Kindesmisshandlung, mit dem Sie vor zwanzig Jahren zu tun hatten, mit seinem Agenten in Verbindung setzen könnten.« Die Vergangenheit holte mich allzu schnell wieder ein.
O ja, ich erinnere mich sehr gut an David Pelzer. Ich kam damals frisch von der Uni, und von heute aus betrachtet wusste ich recht wenig über die realen Anforderungen des Lehrerberufs, den ich gewählt hatte.
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Und das, worüber ich am wenigsten wusste, war Kindesmisshandlung.
Anfang der Siebzigerjahre wusste ich nicht, dass Kindesmisshandlung überhaupt existierte. Wenn es sie gab, dann fand sie hinter verschlosse-nen Türen statt wie so viele andere Lebensgewohnheiten und Verhal-tensmuster, die damals mit einem Tabu belegt waren.
Ich kehrte im Geiste zum September 1972 in der Thomas-Edison-Schule in Daly City, Kalifornien, und zu dem kleinen David Pelzer zurück, der zu meinen Schülern der fünften Klasse gehörte. Ich war damals zwar noch etwas naiv, aber mit
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