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Muster - Steffen-Buch

Muster - Steffen-Buch

Titel: Muster - Steffen-Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raidy
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Seite zur anderen und versuchte, mich aus ihrem Griff zu befreien.
    Als meine Kräfte schwanden, trat ich ihr instinktiv in die Beine, um sie von mir wegzustoßen, was mir aber gleich wieder Leid tat.
    Etwa einen Monat nach Mutters Versuch, mich zu erwürgen, sagte sie, dass ich ihr so fest in den Bauch getreten hätte, dass das Baby einen bleibenden Geburtsschaden davontragen würde. Ich kam mir vor wie ein Mörder. Mutter gab sich jedoch nicht damit zufrieden, diese Geschichte nur mir zu erzählen. Sie hatte mehrere Versionen der Geschichte auf Lager, die sie jedem auftischte, der ihr zuhörte. Sie behauptete, sie hätte versucht, mich zu umarmen, und ich hätte ihr wiederholt in den Bauch getreten oder sie geschlagen. Ich sei eifersüchtig und hätte Angst, dass sie sich mehr um das Baby kümmern würde.
    Mir fiel ein Stein vom Herzen, als sich nach Kevins Geburt herausstellte, dass er vollkommen gesund war. Ich liebte Kevin wirklich, aber da ich ihn und meine Brüder nicht einmal ansehen durfte, hatte ich keine Möglichkeit, ihm meine Liebe zu zeigen. Ich erinnere mich an einen Samstag, an dem Mutter mit meinen Brüdern zu einem Baseball-spiel in Oakland ging und Vater zum Babysitten zu Hause blieb, während ich meine Arbeiten im Haushalt erledigen musste. Als ich damit fertig war, nahm Vater Kevin aus der Wiege. Ich genoss es, ihn in seinem niedlichen Strampelanzug herumkrabbeln zu sehen. Ich fand ihn schön. Wenn Kevin den Kopf hob und mich anlächelte, schmolz ich 83

    dahin. Er machte mich mein Leiden für eine Weile vergessen. Seine kindliche Unschuld hatte eine hypnotische Wirkung auf mich, so dass ich ihm durch das ganze Haus folgte. Ich wischte ihm den Speichel ab, wenn er sabberte, und blieb immer einen Schritt hinter ihm, damit er sich nicht verletzte. Ehe Mutter zurückkehrte, hörte ich mir mit ihm ein Kinderlied an und klatschte mit ihm in die Hände. Als ich Kevins Lachen hörte, ging mir das Herz auf, und später dachte ich an ihn, wann immer ich deprimiert war. Ich lächelte in mich hinein, wenn ich Kevin vor Freude juchzen hörte.
    Doch die Erinnerung an dieses schöne Erlebnis verblasste schnell, und mein Hass kam wieder an die Oberfläche. Ich kämpfte darum, meine Gefühle zu verbergen, aber ich konnte es nicht. Ich wusste, dass es mir nie vergönnt sein würde, geliebt zu werden. Ich wusste, dass ich nie so leben würde wie meine Brüder. Und was das Schlimmste von allem war, ich konnte mir sicher sein, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis Kevin mich ebenso wie die anderen hassen würde.
    Im Herbst des Jahres, in dem Kevin geboren wurde, begann Mutter, ihre Aggressionen auch an anderen auszulassen. An ihrem Hass auf mich hatte sich nichts geändert, aber sie begann auch, sich mit ihren Freunden, meinem Vater, ihrem Bruder und sogar ihrer eigenen Mutter zu entzweien. Schon als kleines Kind hatte ich gewusst, dass meine Mutter kein gutes Verhältnis zu ihrer Familie hatte. Sie hatte das Ge-fühl, dass alle versuchten, sie zu bevormunden. Sie fühlte sich nie wohl mit ihrer Familie, vor allem nicht mit ihrer Mutter, die ebenfalls eine dominante Frau war. Großmutter bot ihr gewöhnlich an, ihr ein neues Kleid zu kaufen oder ihr eine Kosmetikbehandlung zu spendieren.
    Mutter lehnte diese Angebote nicht nur ab, sondern schrie auch so lange Zeter und Mordio, bis Großmutter ihr Haus verließ. Manchmal versuchte Großmutter, mir zu helfen, aber das machte es nur noch schlimmer.
    Mutter beharrte darauf, dass ihr Aussehen und ihre Erziehungsmaß-
    nahmen niemanden etwas angingen. Nach ein paar dieser Auseinandersetzungen mit meiner Mutter kam Großmutter uns nur noch selten besuchen.
    Als es auf das Erntedankfest zuging, stritt sich Mutter immer häufiger mit Großmutter, wenn sie mit ihr telefonierte. Sie warf ihr alle möglichen Schimpfwörter an den Kopf. Die Zwistigkeiten zwischen Mutter und Großmutter waren schlecht für mich, weil Mutter danach oft ihre Wut an mir ausließ. Einmal hörte ich aus der Garage, wie Mut-84

    ter meine Brüder in die Küche rief und ihnen sagte, dass sie keine Großmutter und keinen Onkel Dan mehr hätten.
    Auch mit Vater stand sie nur noch auf Kriegsfuß. Wenn er nach Hause kam, um uns zu besuchen oder einen Tag lang zu bleiben, begann sie ihn bereits in dem Augenblick, in dem er durch die Tür trat, anzuschreien. Folglich kam er oft betrunken nach Hause. In dem Bemü-
    hen, Mutter aus dem Weg zu gehen, werkelte Vater oft draußen an irgendetwas herum.

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