Mustererkennung
daß sie heute abend gern hier wäre, aber Sie wissen ja, ihre Schwester braucht sie in Moskau. Die beiden Wolkowas freuen sich auf Ihren nächsten Besuch, wenn Sie wieder in Moskau sind.«
»Danke«, sagt Cayce und bemerkt die tiefe Scharte oben in
Wolkows rechtem Ohr und hört wieder das Ratschen der
Schere, als der Doktor das weiche Leder der Parcostiefel auf-schnitt.
»Also dann, auf Wiedersehen«, sagt Wolkow. Er wendet sich
Bigend zu und sagt etwas in einer Sprache, die Cayce für schnell gesprochenes, vermutlich idiomatisches Französisch hält.
»Auf Wiedersehen«, sagt Cayce automatisch, als er, flankiert von zwei jungen Männern in dunklen Anzügen, auf die Tür zugeht. Ein dritter bleibt in der Nähe stehen, bis Wolkow aus dem Blickfeld verschwunden ist, und geht dann hinterher.
»Systema«, sagt Bigend.
»Wie bitte?«
»Die drei da. Russische Kampfsportart, war früher grundsätzlich verboten, durfte nur von den Speznas und den KGB—Leibwächtern praktiziert werden. Basiert auf den Kosakentänzen. Völlig anders als alles, was es sonst im Osten gibt.« Er sieht aus wie ein trotziges Kind am Weihnachtsmorgen, das endlich seinen Willen bekommen hat und runter darf. »Aber ich habe Ihnen noch gar nicht Sergej Magomedow vorgestellt«, sagt er und zeigt auf den jungen Dolmetscher, der ihr die Hand reicht.
»Ich habe Sie im Studio gesehen«, sagt der junge Mann.
Dreiundzwanzig, höchstens.
»Ich erinnere mich.«
»Und Wiktor Marchwinska-Wyrwal«, sagt Bigend und stellt
ihr den fünften in der noch verbliebenen Runde vor, einen hoch aufgeschossenen Mann mit sehr sorgfältig frisiertem grauem Haar. Seine Aufmachung wirkt, als hätte sich ein versnobtes französisches Jüngelchen so herausgeputzt, wie es sich einen Briten beim Ausflug aufs Land vorstellt; das seidige Tweedjak-kett sieht aus wie aus der Wolle ungeborener Lämmer gewebt.
Cayce schüttelt ihm die Hand. Er hat die gleichen vollkommen waagerechten Wangenknochen wie Voytek und im rechten Ohr einen diskreten Handy-Kopfhörerstöpsel.
»Ein großes Vergnügen«, sagt der Typ. »Ich bin natürlich
gewaltig froh, Sie wohlbehalten und hoffentlich relativ gesund hier zu sehen. Ich sollte Ihnen vielleicht erklären: ich bin Andrej Wolkows neuer Sicherheitschef, und das verdanke ich Ihnen.«
»Ach ja?« Sie sieht drei Männer in weißen Jacken und
schwarzen Hosen eintreten, mit Edelstahlwagen, die auf Hart—gummirollen laufen.
»Vielleicht kann ich das beim Essen erklären«, sagt er und zeigt auf einen runden Tisch, den sie noch nicht bemerkt hatte: weißes Tischtuch, sechs Gedecke. Zwei der drei Weißbejackten positionieren die Wagen, während der dritte das sechste Gedeck abräumt.
»Für wen war das?« fragt Cayce.
»Boone«, sagt Bigend. »Aber der läßt sich lieber von Wolkow nach Moskau mitnehmen. Hat mich gebeten, Ihnen zu sagen,
daß es ihm leid tut.«
Cayce guckt von Bigend zu Parkaboy und dann abermals auf
den sechsten Stuhl und sagt nichts.
»Andrej Wolkow«, sagt Marchwinska-Wyrwal ohne Einleitung,
als die Suppenteller abgeräumt werden, »ist heute der reichste Mann von ganz Rußland. Daß dieser Umstand in der Öffentlichkeit nicht weitaus bekannter ist, sagt einiges über den Mann selber aus.«
Sie speisen bei Kerzenlicht, die Sofittenbeleuchtung an der Decke ist zu einem schwachen bernsteinfarbenen Leuchten
heruntergedimmt.
»Sein Imperium, wenn Sie so wollen, ist natürlich aufgrund der außergewöhnlichen und äußerst chaotischen jüngsten
Geschichte seines Landes mehr oder minder zusammengestük—
kelt worden. Ein bemerkenswerter Stratege, doch bis vor kurzem außerstande, der Gestaltung dessen, was er erreicht hat, viel Zeit oder Kraft zu widmen. Firmen und Eigentum aller Art wurden einfach angehäuft, wenn Sie so wollen, und harren noch der Schaffung einer systematischeren Struktur. Dies geschieht jetzt, und es freut mich, sagen zu können, daß ich daran Anteil haben darf, und Sie sollen wissen, daß auch Sie daran Anteil gehabt haben.«
»Ich wüßte nicht, womit.«
»Nein«, sagt er, »so offensichtlich ist das ja auch nicht, und schon gar nicht für Sie.« Er beobachtet einen der Kellner dabei, wie er ihm Weißwein einschenkt. Cayce bemerkt die schwarzen Spitzen eines Tattoos, die aus dem Kragen der weißen Kellnerjacke hervorschauen, und muß an Damien denken. »Natürlich hat er seinen Bruder zutiefst geliebt«, fährt der polnische Sicherheitschef fort, »und nach dem Mord dafür gesorgt,
Weitere Kostenlose Bücher