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Mustererkennung

Mustererkennung

Titel: Mustererkennung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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erzählt, du wirst an einen sicheren Ort verlegt, damit war wohl dieser hier gemeint.
    Auf Rohypnol hab ich getippt, weil es sich ganz danach angehört hat; irgendwas, wovon sie sich erhofft hat, daß sie dich leichter drangsalieren kann.«
    »Wo ist sie eigentlich? Weißt du das? Oder diese Leute hier?«
    »Das scheint hier kein sehr beliebtes Thema zu sein. Sobald man die Rede darauf bringen will, kriegen sie alle so einen starren Blick. Irgend ‘ne Idee, hinter was sie her war?«
    »Sie wollte wissen, woher ich Stellas E-Mail-Adresse habe.«
    »Das möchte ich auch gerne wissen.« Er ist frisch geduscht und rasiert und trägt jetzt schwarze Jeans und ein sauberes, aber von der Reise zerknittertes weißes Hemd. »Aber was sie dir wirklich ins Glas getan hat, da kann man nur raten. Das Personal in der Bar hat gedacht, du hast Halluzinationen.«
    »Hatte ich auch.«
    »Da rauf«, sagt er und zeigt zur Treppe. »Geht’s?«
    Sie steigt ein paar Stufen hoch, dann bleibt sie stehen. »Ich hab Minniemausschuhe an«, sagt sie, »ich bin so müde, daß ich schon gar nicht mehr weiß, wie es ist, wenn man nicht müde ist.
    Inzwischen kommt mir ein Jetlag schon wie ein Luxus von
    Leuten vor, die nicht viel reisen, ich fühle mich, als ob mich einer mit ‘nem Gummischlauch verprügelt hat. Ganz zu schweigen davon, daß ich keine Haut mehr an den Füßen
    habe.«
    Sie gehen weiter, bis in den dritten Stock, wobei Cayce sich zunehmend am Geländer entlanghangeln muß, und betreten schließlich einen Saal, der wohl das Innere der häßlichen Beton-tiara ist, die sie auf ihrer Flucht gesehen hat.
    Ein ovaler Raum mit schräg zulaufenden Betonstützen, zwischen denen sich die Fenster befinden. Die Decke wölbt sich entschlossen zur Frontfassade hin und mündet in ein Wandbild, das die Welt darstellt. Vorn und in der Mitte Eurasien, umrahmt von heroischen Weizengarben, aus denen eruptions-artig Raketen und Sputniks emporsteigen, die Farben bereits verblaßt – wie ein alter Globus, den man im Gymnasium in einem heißen, staubigen Raum entdeckt.
    Inmitten einer Gruppe von Leuten sieht sie Bigend, der sie mit erhobenem Glas begrüßt.
    »Wird Zeit, daß wir den großen Boß kennenlernen«, sagt
    Parkaboy leise und bietet ihr lächelnd seinen Arm. Sie nimmt ihn und muß plötzlich absurderweise an ihren letzten College-Ball denken, dann gehen sie zusammen los.
    »Peter«, sagt Bigend, »es hat sich schon allseits herumgesprochen, daß Sie derjenige waren, der sie gefunden hat.« Er schüttelt Parkaboy die Hand, dann umarmt er Cayce und haucht ihr einen Kuß auf die Wange. »Wir haben uns große Sorgen um Sie gemacht.« Er sieht ganz rosig aus, glüht sichtlich von irgendeiner neuen, gefährlichen Energie, die sie noch nie an ihm erlebt hat. Seine dunkle Stirnlocke fällt ihm in die Augen; er wirft den Kopf in den Nacken wie ein junger Hengst, was nichts Gutes verheißt, und wendet sich dann dem Mann zu, der neben ihm steht. »Andrej, das ist Cayce Pollard, die Frau, die uns alle zusammengebracht hat. Peter haben Sie ja schon kennengelernt. Cayce, das hier ist Andrej Wolkow.« Er zeigt seine weißen und beunruhigend zahlreichen Zähne.
    Cayce sieht Wolkow an und muß sofort an Eichmann auf der
    Anklagebank denken.
    Ein unauffälliger Mann von unbestimmbarem Alter mit
    schütterem Haar und goldblitzenden Bügeln an der randlosen Brille. Er trägt einen dunklen Anzug, der nur wegen einer
    gewissen Unsichtbarkeit sein Geld wert ist, dazu ein weißes Hemd, dessen Kragen aussieht wie aus Porzellan mit Leinen—strukturmuster, und eine Krawatte aus dicker, glänzender,
    nachtblauer Uni-Seide.
    Wolkow greift nach Cayces Hand. Sein Händedruck ist kurz
    und rituell.
    »Mein Englisch ist nicht gut«, sagt er, »aber ich muß Ihnen sagen, wie leid es uns tut, daß Sie so schlecht behandelt worden sind. Und es tut mir auch leid«, damit wendet er sich einem jungen Mann zu, den Cayce aus dem besetzten Haus hinter der Georgjewski-Gasse wiedererkennt, und fährt auf russisch fort.
    »Er bedauert, daß er nicht zum Essen bleiben kann, aber er hat dringende Verpflichtungen in Moskau«, dolmetscht der
    junge Mann, dessen dichtes, rötlichblondes Haar ein paar
    Nuancen heller ist als das von Parkaboy. Auch er ist im Anzug, allerdings in einem, der irgendwie geliehen aussieht.
    Wolkow sagt noch etwas auf russisch.
    »Er sagt, daß Stella Wolkowa sich ebenfalls für die Unan—
    nehmlichkeiten entschuldigt, die Sie so unverdient erlitten haben, und

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