Mustererkennung
können sie Bücher und CDs bestellen. Allerdings kommen sie nicht ins Internet. Surfen ist nicht drin. Und keine Handys. Ein Handy ist ein Expreßticket für die Rückkehr nach TBC-Land. Und die Ausbildung erfolgt nur in einer einzigen Berufsrichtung.«
»Und hier rendern sie die Clips?«
»Samt und sonders.« Er reicht ihr die Plastikflasche. »Was machen deine Füße?«
Sie winkt ab. »Die sind okay, ich darf sie bloß nicht bewegen.«
»Wir sind fast da«, sagt er und zeigt durch die Plastiknase des Hubschraubers nach vorne. »Und der letzte Motivationsfaktor, der die Lagerinsassen bei der Stange hält: Wolkow. Wahrscheinlich ist der Name hier noch nie gefallen, aber als Insasse und Russe, was die hier natürlich alle sind, weiß man wohl gleich, woher der Wind weht.«
Der Pilot mit dem Helm, dessen Gesicht sie noch nicht gesehen hat, sagt etwas in rollendem Russisch, das von einer anderen Stimme aus dem Dunkel der Nacht beantwortet wird.
Sie sieht einen Kreis von Lichtern näher kommen, direkt vor ihnen.
»Ich verstehe nicht, wie die das alles zusammenbasteln konnten, nur um Noras Kunst zu unterstützen. Na ja, wie ist vielleicht gar nicht das Problem, aber wieso? «
»Total redundante Organisationsstrukturen, im Dienste einer absoluten Autorität. Wir reden von der postsowjetischen Ära, nicht wahr? Und enormer Reichtum einzelner. Noras Onkel ist zwar noch kein Bill Gates, aber es ist durchaus nicht abwegig, die beiden in einem Atemzug zu nennen. Er hat hier bei einer Menge Veränderungen an der Spitze gestanden, schon sehr früh, und er hat es im großen und ganzen geschafft, seinen Namen aus den Medien herauszuhalten. Was geradezu unheimlicher Fähigkeiten bedurft haben muß. Hat glänzende Beziehungen zur Regierung, egal, wer grade an der Macht ist. Auf diese Weise hat er so einiges unbeschadet überstanden.«
»Du hast ihn kennengelernt?«
»Ich war im selben Raum wie er. Geredet hat vor allem Bigend. Per Dolmetscher. Er spricht kein Englisch. Kannst du Französisch?«
»Nicht so richtig.«
»Ich auch nicht. Was ich nie so sehr bedauert habe wie in der Situation, wo er sich mit Bigend unterhalten hat.«
»Wieso?«
Parkaboy dreht sich um und sieht sie an. »Das war, wie wenn man Spinnen beim Liebesakt zuschaut.«
»Sie haben sich gut verstanden?«
»Es wurden eine Menge Informationen ausgetauscht, aber es hatte wohl gar nicht so sehr damit zu tun, was faktisch geredet wurde, per Dolmetscher oder auf Französisch.«
Da setzen die vier Räder des Hubschraubers unerwartet auf Beton auf. Es ist, als ob man in einem Golfcart sitzt und plötzlich fünfundzwanzig Zentimeter runterknallt. Ein Schmerz in den Füßen.
»Jetzt wirst du erst mal durchgecheckt und verarztet, und dann will Wolkow dich sehen.«
»Warum?«
»Keine Ahnung. Als du plötzlich weg warst, hat er uns alle herfliegen lassen, in einem Hubschrauber, der noch viel schneller war als dieser hier.«
»Wen uns?«
Aber Parkaboy hat sein Headset nicht mehr auf. Er ist dabei, die Gurte abzulegen, und kann sie nicht hören.
41
EIN TOAST AUF MR. POLLARD
Cayces verbundene Füße stecken in viel zu großen schwarzen Filzhausschuhen; sie geht mit Parkaboy den Korridor entlang, in dem die blaß türkisfarbenen Schließfächer sind – zum Dinner, sagt er –, und gibt sich Mühe, nicht zu schlurfen.
Nachdem sie sich die letzte Stunde oder so (sie hat ihre Armbanduhr noch nicht wiedergefunden) damit verbracht hat, sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, gründlich zu duschen und sich die Füße verbinden zu lassen, hat sie jetzt wieder das Rockding und das schwarze Strickjäckchen an, weil Parkaboy meinte, es wäre keine schlechte Idee, wenn sie sich fürs Abendessen umziehen würde.
Das Rockding und ihre übrigen Anziehsachen sowie ihr
Kosmetiktäschchen hatten im Krankensaal, wo sie wieder zu
sich gekommen war, auf sie gewartet.
Die Hausschuhe sind von der Frau, die ihr auch die Suppe
gebracht hatte; sie kommt sich albern vor in diesen Dingern, aber wegen der Blasen und Verbände war an die französischen Schuhe überhaupt nicht zu denken, und die Parcostiefel hatte ihr der Arzt von den Füßen geschnitten, um ihr nicht weh zu tun.
»Was hast du noch mal gesagt, was Dorotea mir gegeben
hat?«
»Rohypnol.«
»Der Doktor hat gesagt, es war was anderes. Glaube ich zumindest. ›Psychiatrische Medizin‹?«
»Uns hat man erzählt, man habe dich in eine Privatklinik gebracht, vom Hotel aus. Dann hat man uns
Weitere Kostenlose Bücher