Mustererkennung
hätten überdies ergeben, daß er in der Ninetieth West nie angekommen sei.
Das Blütenblatt fällt von der getrockneten Rose.
Draußen klopft jemand leise an die Tür.
Sie steht steif auf und öffnet ohne nachzudenken die Tür, die blauen Bögen in der Hand.
»Jetzt wird gefeiert«, sagt Parkaboy und hält eine Literflasche Wasser hoch. »Mir ist gerade eingefallen, ich hatte ganz vergessen, dir zu sagen, das Leitungswasser hier ist nicht unbedingt zu empfehlen.« Er hört auf zu lächeln. »Was ist denn los?«
»Ich lese gerade was über meinen Vater. Gibst du mir bitte einen Schluck Wasser?«
»Haben sie ihn gefunden?« Er kennt die Geschichte von Wins Verschwinden aus ihrem Mail-Wechsel. Er geht ins Badezimmer, sie hört, wie er Wasser in ein Glas gießt. Er kommt zurück und reicht es ihr.
»Nein.« Sie trinkt, verschluckt sich, fängt an zu weinen, kriegt sich wieder ein. »Wolkows Leute haben versucht, ihn zu finden, und sind wesentlich weiter gekommen als wir. Aber hier«, sie hält die blauen Bögen hoch, »ist er auch nicht.« Und dann fängt sie wieder an zu weinen, und Parkaboy nimmt sie in den Arm und hält sie fest.
»Du wirst mich hassen«, sagt er, als sie aufhört zu weinen.
Sie blickt zu ihm hoch. »Wieso?«
»Weil ich gerne wissen möchte, was Wolkows polnischer Strippenzieher dir als Souvenir gegeben hat. Also wenn du mich fragst, sieht aus, als ob da ein Satz Steakmesser drin ist.«
»Arschloch«, sagt sie. Schnieft.
»Willst du’s nicht mal aufmachen?«
Sie legt die zerknitterten blauen Bögen weg und untersucht die Klappe des beigefarbenen Futterals, an der sich, wie sie feststellt, zwei winzige vergoldete Schnappverschlüsse befinden.
Sie öffnet die Verschlüsse, schlägt den Stoff zurück.
Ein Slim-Line-Attachékoffer von Louis Vuitton mit blitzenden vergoldeten Schnappschlössern.
Sie starrt das Ding an.
»Na los, mach auf«, sagt Parkaboy.
Sie tut es und erblickt dichtgepackte Reihen druckfrischer Banknoten, alle fein säuberlich gebündelt und mit weißen Banderolen versehen.
»Was ist das denn?«
»Lauter Hunderter. Druckfrisch, mit aufeinanderfolgenden Seriennummern. Schätzungsweise fünftausend Stück.«
»Warum?«
»Die bevorzugen halt runde Summen.«
»Ich meine, warum ist das hier drin?«
»Es ist für dich.«
»Ich will das nicht.«
»Wir können’s ja bei eBay anbieten. Vielleicht hat irgendwer in Miami dafür Verwendung.«
»Was redest du denn da?«
»Na, der Aktenkoffer. Ist nicht dein Stil.«
»Ich weiß nicht, was ich damit soll.«
»Darüber reden wir morgen früh noch mal, ja? Du mußt jetzt erst mal ein bißchen schlafen.«
»Das ist absurd.«
»Das ist Rußland.« Er grient sie an. »Ist doch scheißegal! Wir haben die Filmemacherin.«
Sie sieht ihn an. »Ja, stimmt, stimmt’s?«
Er läßt ihr das Wasser da.
Leicht angewidert schließt sie den Aktenkoffer mit einer Fingerspitze und bedeckt ihn mit seinem beigefarbenen Überzug.
Nimmt das Wasser mit ins Bad, zum Spülen nach dem Zähne—putzen.
Setzt sich aufs Bett, zieht die Hausschuhe aus, sieht, daß ihr linker Fuß ein wenig geblutet hat, durch den Verband. Ihre Knöchel sehen geschwollen aus. Sie zieht die Strickjacke aus, rollt das Rockding über den Kopf und wirft beides über den Attachékoffer mit seinem obszönen Einsatz voll Kohle.
Sie schlägt die Bettdecke zurück, macht das Licht aus, hum—pelt zurück, kriecht ins Bett und zieht sich die orangefarbene Tagesdecke und die rauhen Bettücher bis unters Kinn. Sie riechen muffig, so wie die Laken am Beginn der Ferienbunga—lowsaison riechen, ungelüftet.
Sie liegt da, starrt hinauf ins Dunkel, hört in der Ferne ein Flugzeug dröhnen.
»Stimmt’s, sie haben dich nicht gekriegt? Aber ich weiß trotzdem, daß du weg bist.«
Und irgendwie wird sein Verschwundensein, die Missin—gness auf einmal er.
Ihre Mutter hat einmal gesagt, in dem Moment, als das zweite Flugzeug einschlug, seien Wins Schmerz und sein Entsetzen darüber, daß die Bannmeile so einfach und auf eine so schreckliche Weise verletzt werden konnte, so groß gewesen, daß er vielleicht ganz einfach aufgehört habe zu existieren, aus Protest.
Cayce glaubt das nicht, aber jetzt merkt sie, daß es sie zum Lächeln bringt.
»Gute Nacht«, sagt sie in die Dunkelheit.
43 MAIL
Mein Bruder, der in Prions Galerie bis zu den Knien in dreckigen, alten Rohren steht, sendet laute und höchst verwunderte Dankesgrüße. Ich habe ihm erzählt, daß du gesagt hast,
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