Mutterliebst (German Edition)
Unglücklicherweise“, fügt er hinzu, „wurden sowohl die Oberschenkelschlagader als auch die Oberschenkelvene punktiert. Anatomisch betrachtet liegen die beiden direkt nebeneinander im Lendenbereich. Sobald diese beiden durchtrennt waren …“, er macht eine schneidende Geste mit der Hand, „… gab es eine immense arterielle Blutung. Allein die Oberschenkelschlagader zu zerschneiden hätte ihn umgebracht, aber die Kombination aus punktierter Arterie und Vene war der Hauptgrund für seinen Tod.“
Aus der ersten Reihe des Gerichtssaals dringt ein unterdrücktes Stöhnen. Marianne bedeckt ihr Gesicht mit beiden Händen.
Langley hält einen Moment inne, wirft ihr einen mitfühlenden Blick zu und fährt dann fort.
„Sind das Verletzungen, die man üblicherweise finden würde, wenn der Verstorbene versucht hätte, Selbstmord zu begehen?“
Smythe zögert. „Nein.“
„Und wie lange hat es gedauert, bis Jonas an diesen Verletzungen gestorben ist?“
„In Anbetracht der Schwere der arteriellen Verletzungen würde ich sagen zwischen fünf und zehn Minuten.“
Langley kehrt zu seinem Tisch zurück und greift nach einem Stapel großformatiger Hochglanz-Farbfotos. Mit dem Rücken zur Richterin, sodass die Presse einen guten, langen Blick darauf werfen kann, nimmt er sich einen Moment Zeit, die entsetzlichen Fotos von Jonas’ teilweise nacktem, blutigem Körper und den grotesken Spritzern und Lachen, die Boden, Wände und Decke beschmieren, durchzugehen. Der Staatsanwalt wählt ein paar Bilder aus und reicht sie Smythe. „Sind das die Fotos, die Sie von dem Verstorbenen am Tatort gemacht haben?“
„Ja.“
„Wir möchten sie als Beweismittel Nummer eins der Staatsanwaltschaft registrieren lassen.“ Langley händigt sie dem Gerichtsbeamten aus, der sie an die Richterin weitergibt. Sie betrachtet die Aufnahmen mit grimmigem Blick. Langley lächelt, als er zu Sevilla hinübergeht und Kopien der Fotos auf den Tisch der Verteidigung legt. „Die Staatsanwaltschaft hat keine weiteren Fragen. Ihr Zeuge.“
Sevillas ist überrascht, was sein Gesichtsausdruck deutlich zeigt. Er hatte gehofft, dass Langley den Gerichtsmediziner ellenlang und minutiös durch alle blutrünstigen Details der Obduktion führen würde. Doch dafür hat Langley keine Zeit. Die Richterin hat ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass sie heute zu einem Ende kommen will, und Langley braucht jede Minute, damit er noch mehr Belastungszeugen aufrufen kann.
„Euer Ehren?“ Sevillas erhebt sich. „Können wir eine fünfzehnminütige Pause anberaumen?“
Die Richterin schaut ihn über den Brillenrand hinweg an. „An dieser Stelle würde ich gerne weitermachen. Wir hatten bereits eine Reihe von Unterbrechungen an diesem Morgen.“
„Wenn Sie mir dann einen kurzen Moment gestatten würden. Ich fange gleich an.“
„Natürlich, Mr Sevillas.“
Er geht hastig die Notizen durch, die er während der Befragung gemacht hat, und legt dabei fest, welche Strategie er einschlagen wird. Vielleicht kann er die Befragung so in die Länge ziehen, dass die Anhörung am nächsten Tag fortgesetzt werden muss. Er nähert sich dem Zeugen mit einem freundlichen Lächeln. „Dr. Smythe.“
Der Arzt erwidert das Lächeln. „Guten Morgen, Mr Sevillas. Es ist schön, Sie wiederzusehen.“
„Das kann ich nur zurückgeben. Lassen Sie uns einen Augenblick über die Verletzungen sprechen“, sagt er. „Ich möchte Sie bitten, eine Reihe von Punkten für mich zu klären.“
„Natürlich.“
„Waren Sie in der Lage, den Eintrittswinkel der Verletzungen an Jonas Morrisons Körper zu untersuchen?“
„Ja, das war ich.“
„Nun, Doktor, wäre es möglich, dass Jonas diese Verletzungen selbst verursacht haben könnte?“ Er hebt eine Hand. „Ehe Sie antworten möchte ich, dass Sie einiges über die psychiatrische Vorgeschichte dieses Jungen verstehen, über die wir uns hier alle, glaube ich, einig sind.“ Er geht auf das Richterpult zu und schaut Hempstead an. „Jonas Morrison hatte sein Leben lang psychiatrische Verhaltensstörungen. Dieser junge Mann war geistig zurückgeblieben, autistisch, und er hatte schwerwiegende Sprachprobleme. Außerdem hat er sich seit frühester Kindheit an nach einem regelmäßigen Muster selbst verletzt, was ein Bestandteil seiner psychiatrischen und kognitiven Störungen war.“ Langley blinzelt, als könne ihm das dabei helfen, einen angemessenen Einspruch zu formulieren. Sevillas fährt fort. „Jonas Morrison hatte auch
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