Mutterliebst (German Edition)
seinem Zimmer findest. Dein bewusstloser Sohn liegt in dem Raum, von oben bis unten mit dem Blut des Verstorbenen besudelt. Es wird die überzeugende Theorie aufgestellt, dass Max den Jungen brutal erstochen hat, und zwar mit einem fünfzackigen, zwanzig Zentimeter langen Metallkamm. Besonders verheerend ist eine Wunde in der Oberschenkelarterie des Jungen, die völlig zerfetzt ist. Als die Oberschwester auftaucht, erwischt sie dich dabei, wie du deinen blutbesudelten Sohn zur Tür schleifst und versuchst, mit ihm zu fliehen. Alle relevanten Beweise – die Tatwaffe und Max’ blutverschmierte Kleidung – befinden sich in deiner Tasche.“
Sevillas schließt die Heftmappe und hebt den Blick. Ein der Welt überdrüssiger Ausdruck liegt in seinen Augen. „Ich muss dir sagen, dass die Fakten nicht schlimmer sein könnten.“ Er zählt sie an den Fingern auf. „Die Tatwaffe, die in dem Raum gefunden wurde, hat ganz zweifellos die Verletzungen und den Tod des Verstorbenen verursacht. Max’ wiederholte tätliche Angriffe auf Jonas und seine Halluzinationen, dass der Junge ihn umbringen wolle, liefern ihm ein Motiv. Es gibt keinerlei Hinweis auf einen weiteren Verdächtigen, und meiner Ansicht nach wird auch keiner mehr auftauchen. Genauso unwahrscheinlich ist, dass die Geschworenen eine forsche New Yorker Anwältin, die versucht hat, mit ihrem Sohn und der Tatwaffe zu flüchten, besonders sympathisch finden, ganz zu schweigen von einem jungen Mann, der möglicherweise auf brutale Art und Weise einen Patienten von Maitland getötet hat. Immerhin beschäftigt Maitland mehr als dreihundert der anständigen und rechtschaffenen Bürger von Plano.“ Er schaut ihr in die Augen. „Es tut mir leid, wenn ich so offen bin, aber du musst wissen, dass wir von Tag eins an gegen Windmühlen kämpfen müssen.“
Danielle umklammert die Stuhllehnen so heftig, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortreten. Sie kämpft gegen eine Welle der Übelkeit an. Es ist alles falsch, so furchtbar falsch. Wo soll sie nur anfangen, um Max’ Verhaltensweisen zu erklären, geschweige denn ihre eigenen? Sie muss sich dringend von ihrer Furcht freimachen und wie eine Anwältin an diese Sache herangehen. Irgendwie muss sie Tony davon überzeugen, dass Max Jonas nicht umgebracht hat. Nur dann wird es ihm gelingen, eine Verteidigung aufzubauen, die so zwingend ist, dass die Geschworenen ihn nicht verurteilen. Über die Dinge, die ihr zur Last gelegt werden, macht sie sich gar keine Gedanken. Jetzt ist nur Max wichtig. Aber warum sollte Tony ihr glauben? Seit sie ihm das erste Mal begegnet ist, hat sie ihn nur belogen. Sie wird ihre ganzen Überredungskünste aufwenden müssen – ihre ganze Ausbildung –, um Tony davon zu überzeugen, dass jemand anders den Jungen umgebracht hat.
Und dass der Mörder tatsächlich nicht ihr Sohn ist.
„Also?“ Tony blickt ihr direkt in die Augen.
Danielle beugt sich vor, ihre Stimme klingt beschwörend. „Pass auf, Tony, ich kann jede dieser Behauptungen entkräften. Aber eines musst du verstehen: Max hat diesen Jungen nicht umgebracht. Ich weiß, dass es schlimm aussieht, aber ich kann erklären, was passiert ist. Ja, ich war wütend, als ich das Meeting mit Reyes-Moreno und den anderen verlassen habe und zur Fountainview-Station hinübergegangen bin, um Max zu sehen, doch er war nicht in seinem Zimmer. Ich dachte, er würde sich in der Cafeteria aufhalten zusammen mit den anderen Patienten. Als ich mich umgedreht habe, um zu gehen, sah ich, dass Jonas’ Tür weit offen stand, und da bin ich hineingegangen, um nach ihm zu sehen.“ Sie schaut auf. „Seine Mutter und ich sind gute Freundinnen. Hat dir das jemand gesagt?“
Tony zuckt die Achseln. „Fahr fort.“
Danielles Stimme zittert. „Ich kann dir den Horror in diesem Zimmer nicht mal ansatzweise beschreiben; all das Blut, der schreckliche Anblick des armen Jonas.“ Sie ringt einen Moment mit sich, dann spricht sie weiter. „Ich habe ihn gepackt, um zu sehen, ob er noch lebt, aber es war zu spät. Ich wollte gerade um Hilfe schreien, als ich Max auf dem Boden liegen sah, von oben bis unten mit Blut bedeckt. Ich dachte, er wäre tot. Ich … bin auf die Knie gesunken und habe nach seinem Puls gefühlt. Er war bewusstlos, aber er lebte.“
„Wo war der Kamm?“
Danielle holt tief Luft. Sie hat keine andere Wahl. „Er lag am anderen Ende des Raums in einer Lache Blut.“
Tony runzelt die Stirn. „Was hast du dann gemacht?“
„Da ich Max nicht
Weitere Kostenlose Bücher