Mutterliebst (German Edition)
des heiligen Kreises. Auch wenn es unlogisch wirkt, so ist es an Maitland, festzustellen, ob sie gegen die einstweilige Verfügung verstoßen hat, und es in diesem Fall dem Richter zu melden, der eine Geldstrafe gegen sie erheben und sie wieder ins Gefängnis stecken wird.
Es macht ihr Angst – diese Sache, die sie dazu bringt, den Wagen zu starten und die unsichtbare Grenze zu überschreiten. Jetzt aufs Gaspedal zu treten würde schon ausreichen, ihr Schicksal zu besiegeln. Der Staat kann ihre Kaution zurückziehen und sie wieder in den Knast werfen – wenn sie sie erwischen. Aber, verdammt noch mal, Max steckt in Schwierigkeiten. Die Schicht Eis, die sich unter ihrer Haut angesammelt hat, sagt ihr, dass er sie braucht – und zwar nur sie.
Der Kies unter den Reifen des Nova knirscht, als sie an der äußersten Seite des Parkplatzes anhält. Sie hat diese Stelle gewählt, weil sie hofft, dass die Bäume sie halbwegs verdecken, während sie versucht, sich in die Station zu stehlen. Es ist dumm, das weiß sie, schrecklich dumm. Die diensthabende Schwester wird sie sehen und den Sicherheitsdienst alarmieren. Danielle bleibt sitzen und versucht, nachzudenken. Sie kann nicht zulassen, dass ihr dummes Herz zum Instrument ihrer Gefangennahme wird. Was kann sie für Max tun, wenn sie im Gefängnis sitzt? Gerade als sie schon aus der Parklücke zurücksetzen will, erhascht sie eine Bewegung. Sie tritt auf die Bremse und schaut genauer hin. Einer der Hausmeister hat eine Metalltür mit dem Fuß aufgestoßen. Er müht sich mit einem Industriemülleimer ab, den er benutzt, um die Tür offen zu halten. Er schreit irgendetwas in das Gebäude hinein und verschwindet dann. Die Tür steht offen.
Danielle versucht, sich vor Augen zu führen, an welcher Stellte im Grundriss der Station sich die Tür befindet. Dann trifft es sie wie ein Schlag. Sie parkt, schnappt sich ihre Handtasche und geht schnell, aber betont lässig ins Gebäude hinein. Hinter der Tür duckt sie sich.
„Gott verdammt!“, hört sie eine männliche Stimme brüllen. „Ich muss den Müll rausbringen. Sag Percy, er soll es machen!“
Sie hört Schritte, die sich von der Tür entfernen. Rasch blickt sie sich um. Niemand zu sehen. Sie schlüpft durch den Türrahmen und in die kühle Dunkelheit eines Lagerraums. Vorsichtig bahnt sie sich ihren Weg durch ordentliche Stapel von Laken, Handtüchern und Seife. Ihre Sandalen hinterlassen kein Geräusch auf dem Betonboden. Die Tür zur Station ist geschlossen. Sie hält den Atem an und dreht den Knauf. Er bewegt und öffnet sich. Vor ihr liegt der Gang, von dem Max’ Zimmer nur einen Raum entfernt ist – zumindest wenn sie ihn nicht verlegt haben.
Das Blut rauscht in ihren Ohren. Adrenalin sprudelt so heftig, dass ihre Nerven bis zum Zerreißen gespannt sind. Rasch blickt sie den Gang zu beiden Seiten entlang und sieht noch den Rücken einer Schwester, die in die entgegengesetzte Richtung verschwindet. Die Türen zu den Patientenzimmern sind geschlossen. Danielle schaut auf ihre Uhr. Zehn Uhr – der Zeitpunkt, an dem die Schwestern die Patienten bei ihrer Morgentoilette beaufsichtigen: duschen, Zähne putzen, anziehen. Wenn der Patient nicht in der Lage ist, mitzuhelfen, wechselt die Schwester einfach nur die Laken und geht ins nächste Zimmer. Danielle hat keine Ahnung, an welcher Stelle ihres Rundgangs sie sich gerade befinden. Oder wann und ob eine von ihnen in Max’ Zimmer auftauchen wird – vorausgesetzt, er ist in seinem Zimmer. Doch jetzt ist es zu spät, um umzukehren. Sie huscht mit gesenktem Kopf die Wand entlang und bleibt stehen. Vorsichtig späht sie durch das kleine Fenster. Er ist da. Und er ist allein.
Noch einmal blickt sie den Gang hoch und runter, dann schlüpft sie hinein. Von innen gibt es keine Möglichkeit, die Tür zu verschließen. Mist! Rasch drückt sie sich mit dem Rücken an der Wand entlang, unter der Kamera hinweg. Sie zieht den Blazer aus und hängt ihn über das forschende Auge der Linse. Max schläft. Seine Arme und Beine befinden sich im Griff der Ledergurte. Er scheint heftig sediert zu sein. Danielle löst die Gurte und drückt ihn an sich. Sie fühlt seinen Herzschlag stark und fest. Er rührt sich nicht. Sanft legt sie ihn zurück und bemerkt die dunklen, violetten Male auf der Innenseite seiner rechten Armbeuge. Nadelstiche. Ihr Herz verkrampft sich. Sein dünner Arm sieht wie der eines Heroinsüchtigen aus. Was tun sie nur mit ihm? Sie spürt, wie Panik in ihr
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