Mutterliebst (German Edition)
Freude. Die liebende Mutter des Mordverdächtigen schleicht sich in die Klinik, scheißt auf ihre vorläufige Freilassung auf Kaution und die einstweilige Verfügung, und dann nimmt sie auch noch ihrem eigenen Sohn Blut ab – womit sie gegen einen weiteren Gerichtsbeschluss verstößt, nämlich sich von ihm fernzuhalten! Könnten wir noch mehr am Arsch sein?“
„Ich sagte, hör auf, Doaks“, mahnt Sevillas. „Sie weiß ganz genau, was sie getan und was sie dabei riskiert hat.“ Sevillas starrt sie weiterhin an. Das Schweigen zwischen ihnen ist eine einzige Qual.
„Niemand hat mich gesehen“, erklärt sie ruhig.
„Natürlich.“ Sevillas’ Stimme ist so schneidend, dass sie auch Stahl brechen würde.
„Was ist mit den Kameras?“, fragt Doaks. „Haben Sie daran auch gedacht, oder haben wir sogar das große Glück, Ihre Straftat auch noch auf Band zu haben?“
„Nein“, entgegnet sie. „Ich habe sie ausgeschaltet.“
„Wie?“, hakt Doaks nach.
„Ich habe meinen Blazer drübergehängt.“
„Wie der Killer am Mordtag?“, faucht Doaks.
„Das reicht“, schaltet sich Sevillas ein.
Danielle nimmt Sevillas das Glasröhrchen ab und packt es wieder in den Eisbeutel. Mit zitternden Händen reicht sie es Sevillas zurück. Natürlich weiß sie, dass sie sein Vertrauen missbraucht hat, aber sie weiß auch, dass sie im Recht ist. „Ich weiß, dass du wütend auf mich bist, Tony, aber eines musst du zugeben: Zumindest haben wir jetzt einen Mordverdächtigen.“
Sevillas schaut sie stumm an, in seinen Augen liegt ganz viel Traurigkeit. „Ich glaube nicht, dass du wirklich verstehst, Danielle. Sie haben schon die ganze Zeit einen Mordverdächtigen.“
22. KAPITEL
Danielle sitzt auf dem Boden des kleinen, unpersönlichen Apartments, das Sevillas für sie angemietet hat. Sie trägt ihren alten grauen Jogginganzug, und sie ist barfuß. Um sie verstreut liegen Papiere, die sie zu drei ordentlichen Stapeln sortiert hat. Sie blickt auf die Uhr. Es ist acht Uhr morgens. Sie reibt sich die Augen und seufzt. Die ganze Nacht hat sie gearbeitet.
Als sie gestern Sevillas’ Büro verlassen hat, da hat sie den Ziehharmonikaordner mit Jonas’ Krankenakte mitgenommen, eine enorme Ansammlung an Dokumenten, die Maitland als Antwort auf Sevillas Antrag am Vortag rübergeschickt hat. Außerdem hat sie den Inhalt der schwarzen Box mitgenommen. Sie hat ihr Ziel weiter verfolgt, Beweismittel zu finden, die Max entlasten, doch alle Papiere, die ihn betreffen, hat sie sorgsam ignoriert. Sie liegen in einem Haufen unter dem billigen, lackierten Couchtisch. Die ganze Nacht über wurde sie von Zweifeln geplagt. Vollkommen ohne Vorwarnung sind sie über sie hergefallen, haben sie gepackt und ihren Blick immer wieder zu dem unberührten Haufen Papiere wandern lassen. Jetzt, am Morgen, verrät ihr Herz ihr, dass sie einfach zu viel Angst hat, sie zu lesen – sie hat Angst vor dem, was diese Papiere ihr sagen könnten und was noch schlimmer wäre als das, was sie bereits weiß.
Bislang haben die anderen Dokumente rein gar nichts zum Vorschein gebracht. Danielle steht auf und streckt sich. Sie sollte eine Runde schlafen. Ein Stapel liegt immer noch vor ihr – eine zusätzliche Sendung aus Maitland, die Sevillas bekommen hat, kurz bevor sie gestern sein Büro verlassen hat. Sie geht zu der billigen Resopal-Kommode hinüber und nimmt die noch billigere Kaffeekanne von der Warmhalteplatte. Als sie sich eine Tasse des bitteren Gebräus einschenkt, versucht sie, nicht über Sevillas’ letzte Bemerkung nachzudenken. In einer Sache war er unerbittlich: dass er und Doaks sich weiterhin auf die Anhörung vorbereiten werden – die in drei Tagen stattfinden wird – und sie so lange in ihrem Apartment zu bleiben hat. Mit anderen Worten, sie soll die beiden ihre Arbeit machen lassen und keine weiteren Straftaten begehen. Mein Gott, wie sehr hofft sie, dass die Analyse von Max’ Blut und den Tabletten ihre Behauptung bestätigt, Max’ Verhalten – was auch immer es war – habe außerhalb seiner Kontrolle gelegen. Auch wenn Doaks ihr gesagt hat, dass es mindestens eine Woche dauern wird, bis die Ergebnisse vorliegen – falls es sich um experimentelle Medikamente handelt erst recht –, so ist es doch das Einzige, woran sie sich klammern kann. Sie führt die Tasse an die Lippen. Der Kaffee schmeckt wie Teer.
Sie greift nach dem letzten Stapel Dokumente, die die Staatsanwaltschaft zugestellt und die Sevillas für sie kopiert hat, um
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