Mutterliebst (German Edition)
damit zu dem kleinen Sofa hinüberzugehen, das mit einem hässlichen Stoff mit Indianermuster bezogen ist. Ihre schwarze Lesebrille ist bis auf ihre Nasenspitze heruntergerutscht. Langsam, aber sorgfältig arbeitet sie sich durch den Stapel. Ein Abschnitt in einem der Anmeldeformulare springt ihr ins Auge. Da ist er wieder, der Hinweis auf Jonas’ behandelnden Arzt in Chicago. Sie markiert ihn und liest sich dann Jonas’ Anmeldung in Maitland genauer durch. Dort ist als sein Wohnort Reading, Pennsylvania, angegeben. Danielle ist sich beinahe hundertprozentig sicher, dass Marianne ihr gesagt hat, sie sei noch vor ihrer Ankunft in Maitland nach Texas zurückgezogen. Selbst wenn das nicht der Fall wäre, warum sollte Marianne mit Jonas in Pennsylvania leben und einen behandelnden Arzt in Chicago angeben?
Diese Unstimmigkeit ist allerdings so unbedeutend, dass es Danielle erneut vor Augen führt, wie wenig sie bislang gefunden hat, um die erdrückende Beweislast gegen Max zu entkräften. Dr. Boris Jojanovich ist vermutlich ein anerkannter Spezialist, zu dem Marianne Jonas gebracht hat. Vielleicht kann er Licht darauf werfen, ob Jonas selbstmordgefährdet war oder nicht. Immerhin hat der Gerichtsmediziner zugegeben, dass der Eintrittswinkel der Wunden die Möglichkeit zulässt, dass sie selbst zugefügt worden sein könnten – auch wenn es extrem unwahrscheinlich ist. Wenn sie Fakten findet, die diese Theorie stützen, dann hat sie dem Übergewicht der Beweislast gegen Max vielleicht endlich etwas entgegenzusetzen.
Ihre ursprüngliche Hoffnung, Fastow könnte der Hauptmordverdächtige sein, ist abgeflaut. Nach Lage der Dinge spielt es keine Rolle, ob die Blutanalyse zeigt, dass Fastows merkwürdige blaue Kapseln in Max’ Körper zu finden sind. Oder dass ein unabhängiger Experte vielleicht bestätigt, diese Medikamente könnten Max’ psychotische Schübe ausgelöst haben. Selbst falls Tony sich mit dieser Verteidigungsstrategie zufriedengibt, sie tut es nicht. Es würde nur beweisen, dass Max einen Grund hatte, Jonas umzubringen, nicht, dass er ihn nicht getötet hat. Folglich würde Max immer noch auf unbestimmte Zeit irgendwo eingesperrt werden – in einer anderen Art Gefängnis. Aber was, wenn er wirklich psychotisch ist und die Tabletten nichts damit zu tun hatten? Nein. Darüber darf sie gar nicht nachdenken. Sie umklammert Jonas’ Anmeldeformular fester. Es könnte alles sein, was sie hat.
Seufzend greift sie nach dem Hörer und ruft Doaks an. „Verpiss dich, wer auch immer du bist“, schnauzt die verschlafene, vertraute Stimme.
„Ich bin’s, Danielle. Ich habe etwas gefunden, was Sie überprüfen müssen.“ Sie erzählt ihm von Jojanovich und gibt ihm die Adresse des Arztes in Chicago.
„Vergessen Sie’s“, murmelt er. „Ich stecke bis zu den Ellbogen in Arbeit.“
„Aber es ist wichtig.“
Seine Stimme wird sanfter. „Kommen Sie, Miss P., wir versuchen bereits, ein Zebra aus dem Hintern eines Pekinesen herauszuziehen. Jetzt schlagen Sie nicht noch mehr Wellen.“
„John, bitte, tun Sie es für mich.“
Er seufzt. „Baby, ich würde es tun, wenn ich könnte. Aber es ist einfach keine Zeit, es vor der Anhörung zu überprüfen.“
„Ich weiß“, erwidert sie traurig. „Ich möchte nur …“
„… alles tun, um Ihrem Jungen zu helfen“, beendet er den Satz leise für sie. „Warten Sie einfach geduldig ab. In dieser Sache müssen Sie uns vertrauen.“
Tränen steigen ihr in die Augen. „Ich werde es versuchen.“
„Durchhalten, hören Sie!“, erwidert er. „Ich rufe Sie an, wenn sich etwas Neues ergibt.“
Sie murmelt ein paar Worte, dann legt sie auf. Frustriert geht sie im Zimmer auf und ab. Alles, woran sie denken kann, ist die Frage, ob es Max gut geht. Doch wie sollte das der Fall sein, angesichts der Tatsache, dass sie ihn das letzte Mal blass und praktisch bewusstlos vorgefunden hat? Ein weiterer Telefonanruf wurde ihr nicht gestattet, sie hat nichts von ihm gehört, obwohl sie ihm mehrere SMS geschickt hat. Wahrscheinlich beobachten sie ihn sehr genau. Es ist, als hätte man ihr die Luft zum Atmen abgeschnürt.
Sie wird ihr Versprechen halten, ihn da rauszuholen. Dazu muss sie jedem kleinen Hinweis folgen, egal wie unwahrscheinlich er auch sein mag. Rasch greift sie nach ihrem Handy und wählt die Nummer von Jojanovichs Praxis. Angesichts der frühen Stunde hinterlässt sie ihren Namen und ihre Nummer auf dem Anrufbeantworter. Sie behauptet, eine neue Patientin zu
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