Mutterschuldgefuehl
streiken, wenn sie zwar für die hehren Ziele von allen Tipps, Belehrungen und Ratschläge, aber kaum praktische Unterstützung bekommen. Oft nicht einmal von ihren Männern, und auch nicht vom Staat. Keine Haushaltshilfe, wenig Kinderbetreuung, kein Geld, wenig Aussicht auf Erfolg. Dafür bekommen sie Sprüche zu hören wie »Ein Kind gehört zu seiner Mutter« und Wünsche, wie sie denn zu sein hat, damit das Kind wird, wie es denn zu sein hat. Und Schuldzuweisungen, wenn das alles nicht klappt. Es winkt der Erfolg des Kindes, es winkt sein Ruhm - und auf der anderen Seite lauert der Abgrund: die »Mutterschuld«. Wenn die Mutter versagt, droht lebenslanges Unglück. Wir können den beliebten Leitsatz der letzten Jahrzehnte »Mutter ist immer schuld!« gerade mit neuem Akzent in den Medien entdecken: Ach, diese gehetzten Mütter von heute! Rastlos rennen sie der Perfektion ihrer Kinder hinterher, verwöhnen und treiben sie an wie nie zuvor und helfen mit Therapien und Medikamenten nach. Sie sind ängstlich und folgen lieber Experten als ihrem Bauchgefühl. Was soll nur aus den armen Kindern werden?
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Jetzt ist Schluss. Jetzt reicht es. Ich bin ja all die Jahre nicht von allein wie ein aufgescheuchtes Huhn um meine Kinder herumgelaufen. Ich habe nicht etwa freiwillig auf meine Intuition und meinen gesunden Menschenverstand verzichtet. Ich wurde dazu systematisch erzogen. Ich sollte ein perfektes Kind in einem perfekten Heim zu einer perfekten Karriere heranziehen und dazu wurde mir Tag für Tag gehörig Angst vor der Zukunft gemacht. Früher hätte ich mir nie träumen lassen, welchen Druck die AuÃenwelt auf mich und mein Kind auszuüben versteht und wie sich der Druck im Laufe der Jahre verstärkt. Heute, zwei Töchter und viele Krisen weiter, weià ich: Das hat System. Das ist nicht mein individueller Leidensweg sondern das Phänomen einer ganzen Müttergeneration.
Meine persönlichen Erfahrungen sind nicht spektakulär, sondern ganz normal.
Der Wunsch, als perfekte Mutter ein perfektes Kind heranzuziehen, ist in unser aller Köpfe tief verankert und wird von den verschiedensten Seiten massiv verstärkt. Wir und unsere Kinder hecheln der Erfüllung idealer Normen hinterher und wundern uns, warum wir uns dabei so mies fühlen. Die meisten spüren einen absurden Leistungsdruck, aber die wenigsten fragen sich, ob er unausweichlich oder berechtigt ist. Im Gegenteil: Wie Statistiken zeigen, suchen Eltern die Gründe für ihr Unbehagen bei sich selbst. Vor allem Mütter zweifeln an sich und sind verunsichert im Umgang mit ihren Kindern - gerade die, die es besonders gut machen wollen. Und das sind entgegen allen anders lautenden Gerüchten fast alle.
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Die gute Nachricht: Es ist viel einfacher, als wir denken, uns von diesem absurden Leistungswahn zu befreien. Wenn eine Mutter ihre Schwierigkeiten in der Kindererziehung nicht mehr als ihr individuelles Problem begreift, sondern in ihnen ein Massenphänomen erkennt, hat sie schon viel gewonnen. Hätte ich eher gewusst, was auf mich und mein Kind zukommt, hätte ich in vielen Situationen viel gelassener und klüger reagiert, mich nicht in die Enge treiben lassen und mich als Mutter von Anfang an besser und freier gefühlt.
Zum anderen haben die meisten FörderungsmaÃnahmen einen weit geringeren Einfluss auf gesunde Kinder, als man gemeinhin denkt. Wir brauchen keine Studien, sondern nur unseren gesunden Menschenverstand, um etwa die Wirkung von wöchentlichen Englischkursen für Babys und Vorschulkinder realistisch einschätzen zu können.
Zum Dritten hilft es ungemein, sich einmal in Ruhe anzusehen, mit wem und was wir eigentlich kämpfen. Welche Personen und Strukturen setzen mich im Alltag so unter Druck? Und was sind das für Ideale, denen ich nacheifere? Stimme ich ihnen überhaupt zu? Und wie kann ich Leistungsdruck vermeiden oder ihm souverän begegnen?
Kapitel 1
In guter Hoffnung
Wer mag gynäkologische Untersuchungen? Ich nicht.
Es gibt wirklich bequemere Sitzgelegenheiten als den berüchtigten Stuhl, und ganz abgesehen von den unangenehmen Untersuchungsmethoden komme ich mir selten so lächerlich vor wie in dem Augenblick, in dem ich mich ohne Hosen auf den Stuhl hieve, meine Beine nach oben schwenke und auf einsame Socken in der Höhe starre. Wahrlich, es gibt würdevollere Momente im Leben einer Frau.
Als ich aber
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