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Muttersoehnchen

Muttersoehnchen

Titel: Muttersoehnchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Fink
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aus versicherungstechnischen Gründen. Die Schramme hatte sich Matthias geholt, als er einen Bengel aus einem Baumwipfel holen musste, der nicht zugehört hatte.
    Das ehrenamtliche, elterliche Begleitpersonal wechselte fast täglich, weil sich niemand die ganze Woche freihalten konnte. Matthias beklagte die pharisäerhafte Haltung der Kindergartenleiterin: Soll sie doch sagen, dass es ihr um den Vorsprung beim Frühstart ins Leben geht. Und nicht von Spiel, Spaß und Spannung faseln. Was sein Sohn da erlebe, sei kein Kindergarten mehr, das sei längst Schule. »Meine Ideen wollten die nicht, nur meine Muskeln. « Er redete sich in Rage. »Ich sollte bloß das erledigen, was den Damen zu gefährlich erschien oder wofür ihnen die Kraft fehlte.«

    Das war der Abend, an dem ich einen neuen Platz für Matthias in meinem Leben fand: Er war der Gegenentwurf zu meiner Jägerzaunidylle. Sein Altersvorsprung, das Kleinkind und die durchemanzipierte Ex-Partnerin stellten seine Männlichkeit auf eine harte Probe, das war spannend. Meine vergleichsweise älteren Kinder und das schummrige Licht ließen mich noch jünger erscheinen, das gefiel mir gut. Hoffentlich bemerkt er nicht so schnell, wie ich durch mein gleichberechtigtes Leben irrlichtere und wie sehr mich mein Sohn beunruhigt.

    Ich kann nicht behaupten, dass sich das, was Matthias aus dem Kindergarten erzählt, nicht schon früh abgezeichnet hätte. Und ich trage Mitschuld. Bei dem Ehrgeiz dynamisch-liberaler Eltern, mit der Dirigentschaft selbstbewusst tonangebender Mütter hatte die traditionelle Kindererziehung keine Überlebenschance. Auch wir sprachen schon von Spaß statt Anstrengung, weil wir in den Expertenbüchern gelesen hatten, dass sich daraus großartige Leistungen entwickeln würden. Routine und Rituale waren auch verpönt, galten sie doch als Kreativitätskiller. Besonders in jungen Jahren, so wurde uns von allen Seiten suggeriert, sei Kreativität der Motor für eine positive Entwicklung. Ihn anzuwerfen und am Laufen zu halten, war erste Mutterpflicht.
    Die Erzieherinnen in unserem Kindergarten verstanden sich als wohldosierte Entlastung für die Mamas, die sich dafür dankbar zeigen sollten. Die in Paules Kindergarten haben einen volldosierten Bildungsanspruch, der bis 18 Uhr gehen kann. Sie gehen sogar davon aus, dass ein Kind bei ihnen viel besser aufgehoben ist als zu Hause. Und die neuen Mütter sehen das liebend gern auch so, denn es befreit sie endlich vom schlechten Gewissen, wenn sie arbeiten, obwohl sie es gar nicht müssten.
    Seit PISA 1 - und IGLU 2 -Studie 2001 sind auch die Erzieherinnen offiziell vom Ehrgeiz getrieben, während sie zu unserer Zeit noch gebremst haben. Frau Mohrle wollte wirklich nur einen Kaffee trinken.
Die miserablen Ergebnisse der Vergleichsstudien kommen dem Erziehungspersonal sehr gelegen, denn ihr Bestreben, die Arbeit im Kindergarten und damit auch die eigene Entlohnung aufzuwerten, ist älter als jede Untersuchung. Aus dem variablen, persönlichen Engagement wurde dank Vergleichsmessung eine gesellschaftsrelevante Aufgabe.
    Als wir damals Maiks vorzeitige Einschulung in Erwägung zogen, fühlte ich mich als Eislaufmutter abgestempelt. Die Kindergartenleiterin reagierte eindeutig. »Maik ist doch erst Ende September geboren, der soll lieber noch spielen.« Die anderen Jungs mit Geburtstag in der zweiten Jahreshälfte würden auch erst nächstes Jahr eingeschult. Das waren zwei überzeugende Gegenargumente. Für Rolf.
    Er sah die Weisheit in ihren Worten, nicht in meinen. Ich war tief beleidigt, denn ich wähnte Maik unterschätzt, und was gingen mich die anderen Jungs an? Aber der kluge Schulpsychologe an meiner Seite erkannte in der Schule ein Frauenbiotop. Und gerade dort sei es immer gut, nicht zu den Ausnahmen zu gehören. Ich fand das ziemlich übertrieben. Im Mittelalter lief das noch ganz simpel. Das Kind wurde vor die Wahl gestellt: Apfel oder Münze? Wählte das Kind die Münze, wurde das als Ausdruck von Reife gewertet und der Knabe zur Knappen-Ausbildung zugelassen, sprich: Er durfte in die Schule. Hätte ich diese Methode nicht vorschlagen können? Bei unserer Tochter lief die Anfrage ein Jahr später glatt durch. Frau Mohrle hatte keinerlei Bedenken: Sie ist ein Mädchen von Anfang August, das ist unproblematisch. So hefteten wir sie ihrem Bruder gleich an die Fersen.
    Unser Kindergarten war nicht sehr ehrgeizig im schulischen Sinne, aber er hatte eine Mission. Er suchte den neuen Vater. Dass ein Kind

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