Muttersoehnchen
Vater wider Willen. Von seiner Vaterschaft erzählt er wie von einem modernen Kreuzzug. Nach unserer Trennung hatte er einige, durchaus mehrjährige Lieben, die ihn allesamt darin bestätigten, dass er kein Mann für eine Frau ist. Er beschloss, den Damen breitbeinig entgegenzutreten und mehrgleisig zu fahren. Er wollte sich von keiner Frau mehr einfangen lassen, und fast hätte das auch geklappt. Bis er über eine Flirtbörse eine Enddreißigerin traf, die vorgab, von Beziehungen die Schnauze endgültig voll zu haben und sich nur noch auf unverbindliche, aber lustvolle Begegnungen einlassen zu wollen. »Cool«, dachte Matthias, »das passt.«
Er vermutete in Verena die perfekt ausgestaltete Emanzipation: authentisch, feminin, vital. Eine Frau mit sinnlicher Sehnsucht, aber ohne ernüchternde Erwartungen. Der Rest ist schnell erzählt. Nun hat Matthias im reifen Alter von 55 Jahren einen dreijährigen Sohn, den er liebt, aber nie haben wollte, von einer Frau, die er nie geliebt hat, aber kurzzeitig begehrte. Er nennt es Samenraub, die Rechtsprechung nennt ihn einen ledigen Vater.
Von einer gemeinsamen Zukunft, gar einer Gründung einer Familie, war bei ihm und Verena nie die Rede. Er hatte sich auf ihre Verhütung verlassen. Das, so gibt er heute zu, war falsch. Er habe sich nicht vorstellen können, dass eine Frau eine Schwangerschaft zulässt, vielleicht sogar anstrebt, wenn der Erzeuger als Vater definitiv nicht zur Verfügung steht. Doch der Zeugungsakt ist der einzige Moment, den ein Mann mitgestalten kann, aktiv mit Kondom oder passiv per Stoptrick. Männliche Mitbestimmung endet also immer mit Lust- und Kontrollverlust. Nach der Zeugung gehörte das Kind nur noch ihr.
Eine Abtreibung wurde beschlossen, dann verworfen und wieder verabredet. Dreimal ging das so hin und her. Dreimal verließ Verena schwanger die Klinik, zuletzt mit dem Versprechen, es auch ohne ihn zu schaffen: »Mit meinem Kind hast du nichts zu tun.« Sie meinte, weder finanziell noch emotional. Aber dieses Versprechen hielt nicht mal ein Jahr lang, dann kam der Brief vom Jugendamt. »Eine Frau bekommt ein Kind, wenn sie eines bekommen will«, schließt er seinen resignierten Befund. »Dabei ist es ihr nicht egal, von wem sie es kriegt, aber ziemlich egal, was er dazu meint.«
Matthias liebt seinen Sohn Paul. Er bestätigt damit die Erfahrungen der Familienanwälte, dass getrennt lebende Väter ihre Kinder zu lieben lernen, wenn sie nur genügend Zeit mit ihnen verbringen. Verena gibt Matthias oft Gelegenheit, denn sie braucht Zeit für sich. Für ihre Arbeit als Lehrerin auf einer halben Stelle, für täglich eine Stunde Nordic Walking , zweimal die Woche Pilates und fürs Onlinedating, von dem man nie weiß, wie zeitintensiv es wird. Gerade ist Matthias frisch zurück von der Waldwoche. Zwei Tage war er als Begleitvater mit der Raupengruppe des Kindergartens Wonneberg unterwegs, und zum Höhepunkt der naturnahen Exkursion haben sie die letzte Nacht sogar draußen verbracht. Mein alter
Freund hat überlebt, mit einer Schramme und einem Zeckenbiss. Viel heftiger wirken die ständigen Einwände und Bedenken des Personals nach. Die Erzieherinnen hatten ihn in die Gruppe derer eingereiht, auf die sie aufpassen mussten.
Matthias war aufgebracht. Er bekommt permanent Verenas Müttermacht zu spüren und erlebt nun etwas ganz Ähnliches im Kindergarten. Sein Bericht hat nicht mehr viel zu tun mit dem Kindergarten, den Maik und Lysa vor anderthalb Jahrzehnten besuchten. Da gab es auch noch keine Waldwoche – und offenbar habe ich noch mehr verpasst. Matthias wollte mittoben. Auf ins Abenteuer. Und er freute sich schon, dass sein Paule abends gut gelüftet und fröhlich erschöpft ins Bett fallen würde. Der Vater hatte genügend Bilder im Kopf, was man in der Wildnis hinter der Stadt alles anstellen kann, er brauchte nur in seiner Erinnerung zu kramen. Er hatte aber keinen Biologieunterricht im Freien erwartet und auch nicht den sensiblen Umgang mit der Natur, wie er es nennt, gequält lächelnd. Da war wohl nix mit Buden bauen oder einen Staudamm am reißenden Bach.
Das Lernprogramm gab vor: Blätter bestimmen, Vogelstimmen lauschen und Kastanienbäume suchen, schon vorsorglich im Hinblick auf den Tauschtag bei Haribo. Für eine tragfähige Budenkonstruktion blieb keine Zeit. Auf die Bäume zu klettern, war den Kids auch verboten. Vom zuständigen Forstamt in freundlicher Zusammenarbeit mit dem örtlichen Verschönerungsverein und, natürlich,
Weitere Kostenlose Bücher