Muttersoehnchen
der Mama gehört, war schon Mitte der 90er im Siebengebirge angekommen. Die Mütter hatten die Hosen an, nicht alle wuschen und bügelten sie auch noch. Die meisten Männer spielten nur noch Nebenrollen. Das solle sich ändern, rief das pädagogische Betriebspersonal lautstark und ließ sich etwas einfallen, damit die Väter mehr Präsenz zeigen und mehr Nähe zu ihren Kindern herstellen konnten, egal, wie nah sie ihnen schon waren.
Außerhalb des Kindergartens hieß der neue Vater der Neue Mann, und der wurde damals noch nicht als Frauenversteher verlacht. Er sollte Gefühl zulassen, Schwäche zeigen und Empathie aufbringen. Und er sollte unbedingt weinen können. Spott kam erst über die Frauenversteher, als die ersten leibhaftig vor uns standen. So ulkig hatten wir uns diese Gestalt nicht vorgestellt. Ein Mann, der den Kopf schief legt, als Zeichen, dass er intensiv zuhört, und Mhmh macht, wenn er uns verstanden hat. Er gibt die Antwort von der Metaebene, um die Sache ganzheitlich und vor allem nachhaltig zu betrachten, aber nie anzugehen. Der neue Mann zieht die Schultern ein und schaut uns fragend an, damit wir ihm erklären, was das jetzt mit uns macht. Er nimmt stets auf dem Beifahrersitz Platz, weil er davon ausgeht, dass die Frau ans Steuer will. Und ohne zu maulen setzt er sich beim Elternabend im Kindergarten auf ein kleines Stühlchen. Er kann auf Fußball verzichten und geht mit den Kids spazieren, wenn seine Frau ihre Freundinnen zum Kaffeeklatsch einlädt. Er wartet im Kaufhaus geduldig vor der Umkleidekabine und überlässt uns ohne Widerworte seine Kreditkarte. Die selbstgestrickten Pullover aus den 80ern hat er inzwischen gegen schicke Designer-Hemden getauscht, die er wie eine Bluse trägt, mit zwei geöffneten Knöpfen, und dazu einen Ohrring. Das beugt der Verwechslungsgefahr vor, denn richtige Frauen tragen immer noch zwei Ohrringe.
Der Rückbau des neuen Mannes war nicht vorgesehen und deshalb feilten wir weiter am Prototyp. Frau Mohrle organisierte in unserem Kindergarten das Papa-Laternebasteln, den Papa-Kochnachmittag, den Papa-Abholtag und den Papa-Vorleseabend. So, als beobachteten wir possierliche Tiere im Zoo, amüsierten wir Frauen uns köstlich, wenn unsere Männer in die weibliche Rolle schlüpften. Sollten die doch mal sehen, wie sie zurechtkommen und was Mütter so durchmachen den lieben langen Tag. Die Männer nahmen es scheinbar gelassen. Und ich fand die Gründung des Reservates ganz normal.
Hinter den Kuschelsätzen der Erzieherinnen und dem Vätergefühlsprogramm verbarg sich unsichtbar eine Ideologie, eine, die jede ambitionierte Mutter bedient. Wir ließen die Kleinen, ob Junge oder Mädchen, in unserem Sinne fördern. Kein Wettbewerb, nur
Teamgeist. Kein Raufen und Rankeln, nur Schmusen und Schäkern. Wir appellierten an das große Gefühl im kleinen Jungen. Er ist anders, das wusste er schon, aber jetzt war er auch falsch, und in seinem kleinen Kopf gab es kein Programm mit einer passenden Antwort. Wir konnten über alles reden, aber wer den gewaltbereiten Platzhirsch spielen wollte, von dem waren wir persönlich enttäuscht. Dabei merkten wir nicht, dass wir die Jungs verdrängten, während die Mädchen immer ungestörter all ihre Zickigkeiten ausleben durften. Sie sind per Definition immer die schwächeren, immer die Opfer, derweil sich ein Junge auch mit der Lizenz zum Weinen im Zweifel schon durchzusetzen weiß.
Heute sind die weiblichen Methoden etabliert. Mit ihnen haben wir bei den nächsten Vergleichsstudien zwar nicht den großen Wurf geschafft, aber doch aufgeholt. Matthias sieht darin kein Indiz: »Sie haben nur die Art der Fragestellung geübt. Außerdem sind wir im Lesen immer noch schwach und dabei ist das doch die weibliche Kernkompetenz schlechthin.« Und den Preis dafür hält er einfach für zu hoch. Die veränderte Lage spürt Matthias’ Sohn Paul am stetig wachsenden Aufwand: Immer mehr Ausflüge mit Lernhintergrund, Englisch schon im Vorschulalter und Prickeln statt Piratenspiel. Prickeln, das Zierstechen von Papierfiguren mit einer dünnen, stumpfen Nadel ist die beliebte Vorübung für den Umgang mit der Schere. Darauf wird viel Zeit verwendet, eben Fein- statt Grobmotorik. Hintendran ein Clown, der keinen Blödsinn macht, sondern physikalische Experimente, und eine fast schon hysterische Zahnvorsorge mit den Böse-Jungs-Puppen Karius und Baktus an der Spitze. Alle führen regelmäßig Gespräche zum Entwicklungsstand der Kinder, die fast immer
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