Muttersoehnchen
Eltern waren aufgeschlossen und arglos. Kaum dass wir erwachsen waren, zeigten wir ihnen vorwurfsvoll, was sie uns angetan hatten. Wir entdeckten die krebserregenden Formaldehydzusätze in Puppenhaus und Trecker, und für uns entdeckten wir das alternative Spiel Ökopoly.
Für unsere Kinder wollten wir es ursprünglich modern. Ihr Spielzeug musste neuesten Sicherheits- und Pädagogikvorgaben standhalten, aber es durfte nicht neu aussehen. Im Gegenteil. Der Teddy sollte den Anschein erwecken, als sei er schon über Generationen hinweg geküßt worden. Und die Motive auf dem Puzzle sollten das Landleben anno 1900 zeigen. Unsere Ökovisionen gaben wir nicht auf, sondern bereicherten sie mit technischen Innovationen. So wurde unser Blick immer verklärter.
Nur das Holzgewehr meines Bruder war echt alt, denn es stammte vom Großvater, der es für unseren Vater geschnitzt hatte. Ich rettete es über etliche Umzüge hinweg, aber nun hatte ich Bedenken, es dem kleinen Maik in die Hand zu drücken. Ausgiebig überlegten Rolf und ich, wie wir uns verantwortungsbewußt verhalten sollten. Wir entschieden, ihm die Waffenattrappe zu überlassen. Aber wenn er einmal Unfug damit anstellen sollte, wollten wir sie sofort wieder einziehen. Wobei wir die Definition von Unfug offen ließen. Unser dreijähriger Pöks war begeistert. Fortan hatte er einen treuen
Begleiter, den er ständig mit sich rumschleppte und immer wieder verlegte. Breitbeinig wie Clint Eastwood baute er sich dann auf und blickte mir herausfordernd in die Augen: Mama! Wo ist mein Gewehr? Ich fand diese Szene sehr niedlich und hatte deshalb ein schlechtes Gewissen. Die Fürsorgekultur in den 90ern ließ eine Mutter hysterisch reagieren bei allem, was pädagogisch nicht preisverdächtig war.
Wenn das Bobby Car so unverwüstlich wirkte, als würden noch unsere Kindeskinder damit achtzig Meilen westwärts rutschen können, waren wir fröhlich gestimmt. Dazu zogen wir dem kleinen Fahrer Schuhe an, die seine Füße auch bei 60 Grad minus warm gehalten hätten, obwohl im Rheinland der Gefrierpunkt nur selten unterschritten wird. Und seinen Kopf schützte ein Helm aus der Kollektion Tour de France. Wenn schon, denn schon. Die Kombination aus Einfachheit, individueller Note und einem pädagogisch wertvollen Anspruch machte uns schwach und willig, denn wir glaubten an die Synthese von Spiel, Spaß und Lernen. Oder: Spielend lernen macht Spaß. Das Leben war ein Ponyhof und wir hatten das herausgefunden.
Der Spaß war grenzenlos. Er fand im Wohnzimmer, im Schlafzimmer, in der Küche, auf dem Flur und manchmal sogar im Kinderzimmer statt. Überall lagen Spielsachen verstreut, altersgerecht und zukunftsweisend. Vom ersten Tag an vereinigten wir Spiel und Bildung: Erst Baby-Puzzle, Kreativ-Mobile und Klangkörper zum Schlagen, dann Steckringe, Bauklötze, danach Kaufmannsladen und Puky-Roller, schließlich ferngesteuerte Autos mit Batteriebetrieb, ein Spielklavier für die Feinmotorik und den Klassiker My First Sony . Nach und nach verwandelte sich unser Haus in ein Spielhaus. Und im Sommer wurde der Garten zur Freiluftbühne: Mit riesigem Planschbecken, dem kindersicheren Quadro-Großbaukasten fürs kontrollierte Klettern und der übergroßen Sandkiste konnten wir die Kids von der Straße fernhalten und selbst teilhaben an ihrem Vergnügen. Der Rasen musste auch nicht mehr gemäht werden.
Wir sorgten dafür, dass selbst Zähneputzen Spaß machte. Wir kauften Zahnbürsten mit lustigen Borsten und probiotische Zahnpasta, die Bakterien nicht zerstörte, sondern nur zum Abflug aufforderte. Im Kapitalismus für Kreative war alles Profane heilig,
wenn es die Entwicklung der Kurzen beschleunigte, ihre Gesundheit schützte und uns als perfekte Eltern auswies. Think big. Bloß nicht kleinkariert, bloß nicht zaudern. Im Spielzeug unserer Kinder konnten wir uns wiederfinden, konnten ungestraft nostalgisch sein und alles besser machen als unsere Eltern damals.
Wir gewährten Sohn und Tochter dauerhaft Hausrecht in allen Räumen und freien Eintritt in unser Bett. Wir verschmolzen mit ihnen zu einer völlig neuen Einheit, und ich fand nichts dabei, mir ihre Bedürfnisse anzueignen. »Das Kind ist ein Teil von mir«, sagte ich und dachte: Das Kind ist mein Teil. Darüber versäumte ich es, unsere eheliche Privatsphäre zu erhalten oder wenigstens irgendwann wiederherzustellen.
Mit 19 erhält Maik seine Privatsphäre besser als wir. Er steuert seinen Tag abseits unseres Alltags, mit dem
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