Muttersoehnchen
er nur selten in Berührung kommt: Für die Zeit nach der Schule haben wir Handwerker bestellt, damit sie unser Haus anstreichen. Die Männer kommen aus Polen, nur einer spricht gut deutsch. Sie haben eine wirklich heiße Woche erwischt und stehen in der brüllenden Sonne schwitzend auf dem Gerüst. Einer ist dabei, der gerade mal so alt ist wie unser Sohn. Der junge Pole macht schon Mittag, wenn unser Sohn sich gerade mal aus den Federn quält. Die beiden wagen nicht, sich in die Augen zu schauen, und sie siezen sich, als der junge Mann Maik nach der Toilette fragt. »Dumm sein und Arbeit haben, das ist das Glück«, sprach Gottfried Benn zu einer anderen Zeit. Sogar Harald Schmidt findet, dass dieses Zitat nahezu der Gipfel dessen ist, was er heutzutage dem Kabarettpublikum an Zynismus zumuten darf, wobei auch ihm aufgefallen ist, dass das Entsetzen mit zunehmendem Alter nachlässt. Maiks verlegen-verzagter Gesichtsausruck liefert jedenfalls kein Indiz dafür, dass ihn dieser Gedanke umtreibt. Vielmehr irritiert ihn der real existierende Zwang des polnischen Altersgenossen, eine körperlich anstrengende Arbeit zum überschaubaren Tarif verrichten zu müssen.
Ich bremse mich mühevoll, Maik zu predigen, um wie vieles besser sein Leben bleiben könnte, wenn er sich mal richtig aufstellen
würde. Aggressivität steigt in mir auf. Seine Entspannung ist in meinen Augen Antriebslosigkeit, ein Beweis dafür, dass er noch keinen Plan hat, nur fehlende Entschlußkraft. Er ist groß, er ist kräftig. Was um Himmels Willen hält ihn davon ab, die Welt zu erobern? ich beschließe, ihn höchst selbst nach Frankfurt zu bringen. Zu groß erscheint mir die Gefahr, er könnte das Auswahlverfahren verpassen.
Noch immer nehme ich seine Sache in meine Hand, auch wenn Rolf mir tausendmal sagt, ich solle es lassen. Ihn loslassen. Ich höre, was er sagt, aber verstehe nicht, was er meint. Ich will den Auswahltag zu unserem Familienausflug machen, ins Senckenberg-Museum wollte ich schon lange mal wieder, und ich bin mir sicher, dass Maik eine gemeinsame Fahrt am Steuer unseres Autos einer Reise mit der deutschen Bahn vorziehen wird. Ich bin sehr zufrieden mit meiner Idee.
Die geschäftige Baustelle am Haus motiviert mich, auch rege zu werden. Damit ich den Handwerkern nicht im Weg stehe, nehme ich mir den Dachboden vor. Da verstopft viel vergessenes Zeug dem Heizungsmonteur jedes Jahr den Weg zur Gastherme, worüber er stets aufs Neue flucht.
Über Barbie stolpere ich zuerst. Sie liegt gegrätscht zwischen Weihnachtsschmuck, Schaukelpferd und Schultüten. So, als wäre sie nur kurz abgelegt worden, als würde die kleine Lysa gleich wiederkommen und weiterspielen. Barbie ist übel dran: spärlich bekleidet, im Gesicht und an den Beinen verdreckt, Spliss im Haar, nur ihre Wahnsinnsfigur hat sie immer noch. Das Wiedersehen ist für mich verheerend, genau wie an dem Tag, als Lysa mir mit dieser Puppe aus dem Kindergarten entgegenwedelte. Ich war empört, das Model in den Händen meiner vierjährigen Tochter zu sehen und meinte, sie solle es dem Mädchen, dem die Puppe gehörte, sofort zurückgeben. Das tat sie maulend und vergaß die Puppe leider nicht, und ich vergaß nicht, Frau Mohrle zu fragen, wer Barbie denn den Zutritt in den Kindergarten gewährt hatte. Die perfekt qualifizierte Frau meines Alters, in deren tägliche Obhut ich meine Kinder gab, schaute mich an, als sei ich gerade aus dem Dornröschenschlaf
erwacht. Sie müsse ganz andere Schlachten schlagen, beispielsweise die restliche Mischpoke abwimmeln: das Barbie-Pferd, das Barbie-Mobil und das Barbie-Boot. Und das sei noch gar nichts gegen Baby Born, die realistische Babypuppe mit neun lebensechten Funktionen, wahlweise als Junge oder Mädchen zu haben, die derweil andere Familien terrorisierte.
Ich könne darauf vertrauen, dass der Barbie-Zauber nur kurze Zeit anhalte, versicherte mir die erfahrene Kindergärtnerin. Barbie spiele längst nicht mehr die Rolle, an die ich mich erinnerte. Mit jedem Jahr voranschreitender Emanzipation habe sie an Bedeutung verloren. Sie sei nicht mehr das Sinnbild für die Schicki-Micki-Maus ohne Verstand und nicht mehr verantwortlich für den allgemeinen Verfall der Sitten, sondern nur noch eine Ankleidepuppe in penetrant rosa Ambiente – nicht mehr. Und als sei es ein letzter Trost, meinte Lysas Erzieherin auch noch, dass aus uns trotz Barbie ja auch etwas geworden sei. Es fehlte nur noch, dass sie mir kumpelhaft in die Seite geboxt
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