Muttersoehnchen
hätte. Ich schaute mich um und blieb skeptisch. Meinte sie die Frauen um mich herum, von denen die meisten stilsicher in 7/8 Hosen mit Gummizug und Fleece-Pullover gefunden hatten, seit sie im Müttermodus waren?
Meine eigene Barbie war immer schön gewesen, gepflegt und sauber. Ich hatte sie in einem kleinen Koffer verwahrt und ihre Kleider in einer Zigarrenschachtel, kaum jemand durfte sie anfassen. Ich war erst mit zehn Jahren ins Barbiefieber gefallen, und meine Mutter war sehr skeptisch. Sie war gerade zur Emanzipation aufgebrochen und hatte wohl Sorge, dass ein sexistisches Frauenideal ihre Tochter unter Streß und auf die falsche Fährte setzen, womöglich gar in die Abhängigkeit von einem Mann führen könnte. Dabei verstand ich auch zehnjährig noch nicht, was an einer tollen Figur und schönen Kleidern auszusetzen sei oder an einem netten Mann. Meine Mutter erlaubte mir das Spiel, weil sie Verbote prinzipiell für kontraproduktiv hielt und jede Auseinandersetzung wichtig fand, wohl auch, weil ich rundherum so kreativ mit Barbie umging. Zehnjährig konnte ich schon mit der Hand nähen, und zusammen mit meiner Freundin erweiterte ich die Garderobe unserer Barbies aus Taschentüchern und kleinen Stoffresten mit Zick-Zack- und Kreuzstich. Aus einem Umzugskarton bauten wir ihnen ein Puppenhaus.
Ich musste mir aber sagen lassen, dass das Geheimnis eines glücklichen Frauenlebens nur in ihrem eigenen Geist liege und der könne sich viel besser in einem natürlichen, nicht in so einem dürren Körper entfalten. Offenbar war Mamas Leben auch als junge Offiziersgattin nicht immer so toll. Ich versenke Barbie im Müllsack, die nächste Generation soll selbst sehen, wo sie ihre Traumfrau herbekommt. Und Diddl werfe ich gleich hinterher.
Die weiße Springmaus mit rosa Schnute, die eigentlich ein Känguruh hätte werden sollen und deshalb die großen Füße behielt, denen im Nachhinein der gesamte Erfolg zugeschrieben wurde, hatte in unserer Familie einen Präzedenzfall geschaffen: die Ohnmacht vor den Wunderwelten. Die Wunschliste meiner lieben Kleinen wurde immer länger und lag häufig abseits des von uns gesetzten Trends.
Die Grundschüler Maik und Lysa standen gerne Montagmorgens früher auf, um noch vor Schulbeginn im örtlichen Schreibwarengeschäft die neuen Diddl-Motive zu erstehen. Die wurden gesammelt, katalogisiert und mit anderen Kindern getauscht. Unsere beiden opferten freudig ihr gesamtes Taschengeld, und sie bekamen nie genug. Die Großeltern leisteten ungebeten Hilfestellung, wenn ihnen die Geschenkideen ausgingen.
Rolf und ich waren uns mal einig. Wir fanden Diddl hässlich, wir fanden Diddl überteuert und uns fiel auf, dass Diddl ja gar nichts konnte. Der Mäuserich sprach nicht, er sang nicht und er tanzte nicht. Das tat Barbie auch nicht, aber die war wenigstens schön und hatte eine stattliche, auswechselbare Garderobe. Diddl war kein Held wie Wickie, nicht frech wie Pumuckl, nicht intelligent wie Alf. Er hatte nur Klotzfüße.
Während wir noch darüber nachdachten, wie wir die Liebe unserer Kinder wieder auf Dody, das Bärchen, und Nils, das Flusspferd, lenken könnten, wuchs Diddl zu einem Imperium heran. Verwandte Produkte, mit denen jeder Schulranzen bestückt werden musste und ein Kinderzimmer ausgestattet werden konnte, wurden geschickt platziert: Buntstifte, Radiergummis und Spitzer, Etuis und Ringbücher, Schreibtischunterlagen, Bettwäsche und Papierkörbe. Relativ spät gab es die Springmaus auch als Plüschtier und dann in der Jungen- und Mädchenversion, Diddl und Diddlina. Heute gibt es
eine Großfamilie mit annähernd tausend Alltagsprodukten wie Badeschaum, Süßigkeiten und Lippenbalsam, auf deren Verpackungen Diddl als Dachmarke platziert wird.
Rolf und ich waren irgendwann zu dem Schluss gekommen, dass es wohl das Beste sei, nur das Geld zu limitieren und Diddl auszusitzen. Wir fühlten uns tolerant dabei und waren in Wahrheit machtlos. Die Welle wird gewiss vorüberziehen, formulierten wir optimistisch und wussten, dass sie nur von der nächsten abgelöst werden würde. Im Sommerurlaub vergaß Lysa ihre Diddlmaus versehentlich im Hotel. Ich versprach, alles zu unternehmen, um sie wiederzubekommen, und unternahm in Wahrheit nichts. Oma kaufte ihr eine neue, aber es war das falsche Modell. Lysa weinte und warf den falschen Diddl in die Ecke. Ein paar Tage später war dieser böse Zauber vorbei.
Die nächste Welle aus der Spielzeugwelt kratze ich nun vom Fußboden ab.
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