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Muttersoehnchen

Muttersoehnchen

Titel: Muttersoehnchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Fink
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erwiesen sich immer dann als Renner, wenn Maik in genau dem Alter war, sie spielen zu können. Gleichzeitig wurden Internet-Flatrates bezahlbar. Das war kein Vorteil. Unsere Generation ist weiß Gott nicht intolerant, wenn es um die beste Entwicklung der Ichlinge geht, und wir sind sehr darauf bedacht, mit Unverfälschtem und Ursprünglichem zu glänzen. Aber wir konnten nicht länger darüber hinwegsehen, dass unsere Kinder ihren eigenen Lifestyle etablierten und uns nur die Wahl ließen zwischen rosa und digital. Manchmal unternahmen wir hilflose Abwehranstrengungen, mit bescheidenen Ergebnissen, weil wir uns doch so unendlich schwer taten mit dem Wort Nein. Es fiel uns doppelt schwer, weil wir uns die Ausgaben leisten konnten, nicht aber die Ablehnung durchs eigene Kind. Denn schlimmer als ein kindlicher Kollateralschaden war der enttäuschte Blick, das missmutige, womöglich wütende Gesicht. Rolf und ich wollten unbedingt zurückgeliebt werden von den Menschen, die wir gemacht hatten.
    In der Öffentlichkeit wurden die Verkaufserfolge der japanischen Pokémon-Versionen kontrovers diskutiert, auf den Elternabenden in der Grundschule einvernehmlich. Der Einfluss, von dem niemand wusste, wie er sich auswirkte, sei ganz sicher nicht gut, meinten die Lehrer. Ein Verbot aber könne man in der Schule
nicht aussprechen, denn wie solle man das Mitbringen der Karten kontrollieren? »Das müssen Sie verstehen!«
    Die Spielwelt war reine Privatsache. Schön, wenn die Hausaufgaben auch reine Schulsache gewesen wären. Aber da war keine Hoffnung. Die Eltern sollten der Spielwelt etwas Gescheites entgegensetzen, hieß es. Also kauften wir erstmal zwei Rechner bei Aldi mit schnellen Prozessoren und ordentlichen Grafikkarten. Dann verkabelten wir unser Haus, um ein häusliches Netzwerk zu installieren.
    Maik konnte nun im Echtzeit-Strategiespiel Age of Empires Konflikte der Zivilisation simulieren. Er konnte Assyrern, Babyloniern oder Griechen helfen, eine Dorfgemeinschaft zu entwickeln. Und er konnte gegen seinen Vater antreten, der eine Etage tiefer vor dem Monitor saß. Als besonders wertvoll galt das Computerspiel Anno 1602 , weil es fast ganz ohne kriegerische Handlungen auskam. Mit jedem höheren Level stiegen nur die Bedürfnisse der Bewohner, was zwar richtig nervig war, uns aber nicht gefährlich erschien. Das kannten wir aus dem echten Leben.
    So beschäftigten wir uns, bis dann die bösen Spiele auf unsere Rechner kamen, für die wir mit der modernen Hardware gerade erst die Voraussetzungen geschaffen hatten. Grand Theft Auto (GTA) bedeutete Autos klauen und Leute umhauen. Das war uns noch einigermaßen sympathisch, weil sein Entwickler der humoristisch-satirische Schotte Rockstar North war und unser Junge mit 14 in einem Alter, in dem der Führerschein nicht mehr ganz so weit entfernt schien. Aber erst Counter Strike und Warcraft II und III ließen Maiks Puls höher schlagen. Endlich war mal wieder klar, wohin die Reise ging: immer ein tödliches Level weiter.

    Bevor man sich mit Hunderten von Gamern im Netz treffen konnte, um in der Fantasywelt von Azeroth seine Mission zu erfüllen, gab es Partys im Local Area Network (LAN). Röhrenmonitor, Rechner, Tastatur, Maus karrten wir toleranten Mütter für unsere Söhne mit dem Auto drei Häuser weiter, um sie beim Kumpel im Keller wieder aufzubauen. Mit lauwarmer Vier-Jahreszeiten-Pizza (von Aldi) und ebenso lauwarmer Cola (bitte nicht von Aldi) zogen die Knaben nächtens hinaus in die Schlacht, um heldenhaft gegen Fratzen,
Trolle und Warrior zu kämpfen, bis die Mutter sie am nächsten Morgen mit Nutellabrötchen ins Erdgeschoss locken konnte. Ganz wohl war uns nicht, aber machten es nicht alle? Beim Abholen zeigten wir gespieltes Unverständnis wie M, wenn ihr James Bond mal wieder über die Stränge geschlagen hat: vermeintlich böse, dabei liebevoll nachsichtig und immer auch ein bisschen stolz.

    Ich wußte immer noch nicht viel über die Rollenspiele, aber genug, um sie nicht mehr für simple Ballerspiele zu halten. Gegen die Komplexität der Spielregeln und sprachlichen Vorschriften ist der Gauß‘sche Algorithmus ein Leichtgewicht und der Ablativus Absolutus die Partizipialkonstruktion einer Vulgärsprache.
    Als der erste Schüler in Erfurt Amok lief, wurde aus Spiel tödlicher Ernst, und entfachte eine Diskussion über die Gefährlichkeit von Computerspielen. Amokläufe kannten wir bis dato nur aus Amerika, nun erschoss ein 19-Jähriger mit einer Pumpgun

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