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Muttersoehnchen

Muttersoehnchen

Titel: Muttersoehnchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Fink
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schließt der Junior messerscharf, braucht der Alte ihn wohl nicht. Maik ist immer mobil, stellt Lysa fest und führt im Geiste eine Strichliste, um sich für ihre eigenen Ansprüche auf mein Auto zu munitionieren.
    Maik liegt mit seiner Annahme richtig. Sein Vater hat keine Einwände. Er streifte in jungen Jahren durch Irland und erinnert sich gern daran.
    Die Tatsache, dass er sich 1980 als Rucksacktourist mit Bussen und zu Fuß bewegte, lässt er dabei aus. Rolf hört nur Fernweh aus Maiks Bitte und rekonstruiert sein eigenes, wohl deshalb will er ihm den Passat anvertrauen. Ich höre nur Gefahr und halte den Plan deshalb für abwegig. Bloß an die Kosten denkt im ersten Moment keiner. Ich weiß nicht, ob ich mich mehr über Maiks verwegene Anfrage oder über die schnelle Zusage meines Mannes ärgern soll. Nie sind wir uns einig. Nie nimmt Rolf meine Bedenken wahr, geschweige denn ernst.

    Aus dem Rheinland bis an die Westküste Irlands sind es laut Google Maps 1.317 Autokilometer, die zwei Fährstrecken nach und von England nicht eingerechnet. Die Route führt durch vier Länder und vorbei an mehreren Großstädten, die Reisezeit wird mit 16 Stunden und 30 Minuten berechnet. Dabei kann Maik sich kaum für eine Stunde konzentrieren.

    Wir haben auf die Leseentwicklung unserer Kinder schon aus persönlichem Ehrgeiz viel Wert gelegt. Wir hatten alle gängigen Vorleseklassiker und kannten auch die Geheimtipps: Nisse beim Friseur hatte damals kaum jemand. Der kleine Junge setzt aus Versehen und zum Entsetzen seiner Mutter einen Stylingtrend. Die herrlichen Geschichten von James Krüss, Mark Twain, Leo Tolstoi, Bertold Brecht, Paul Maar, René Goscinny und vielen anderen gab es als Sammelband in »Es war eine dunkle und stürmische Nacht«, und das wurde unser Synonym für »Ich habe Angst im Dunklen«. Wie man spitzfindig und philosophisch hinterfragt, was Erwachsenen als selbstverständlich gilt, zeigten »Herr Balaban und seine Tochter Selda« unseren Kids. Das Mädchen lernt im Religionsunterricht, dass Gott sie dazu geschaffen habe, anderen zu dienen. Prompt folgt ihre Frage, wozu der liebe Gott die vielen anderen Menschen geschaffen hat.
    Nach dem Vorlesen, das besonders Rolf bestritt, kamen wir nicht umhin, der Hauptströmung zu folgen, und haben mit den Drei Fragezeichen und den Wilden Hühnern nachgelegt. Als bewusste Bildungsbürger sind wir weiterhin pädagogisch wertvollen Empfehlungen gefolgt, die Kinder uns aber immer seltener. Mit Caius’ Abenteuern im alten Rom konnte ich bei Maik nicht mehr landen und Lysa trug den Klassiker Angelique und der König immer wieder ins Schlafzimmer zurück. Ich glaube, wir haben alles richtig gemacht, doch heute lesen Sohn und Tochter kaum noch.
    Die Mengen Text aufzunehmen, die der Leistungskurs Geschichte ihm abforderte, fiel Maik sichtlich schwer. Er nahm sich die Mediathek des ZDF zu Hilfe, in der Historyman Guido Knopp alle wichtigen Ereignisse in unterhaltsame Erzähldokumentationen
verpackt hatte, oder er bediente sich schlüsselfertiger Zusammenfassungen aus dem Internet. Dennoch: Er stöhnte und stöhnte. Die letzten Bücher, die er auch nicht gerade verschlungen, aber immerhin noch freiwillig gelesen hatte, waren die Harry-Potter-Geschichten gewesen. Kurz bevor der Hype um den Zauberlehrling in Deutschland losbrach, hatte mein Bruder Maik seine alten Bände von Karl May überlassen, »Winnetou I – III«, »Der Schatz im Silbersee«, »Durch das wilde Kurdistan«. Mit melancholischem Blick an die Erinnerung seiner Jungentage und einer großzügigen Geste, die dem Jungen bedeuten sollte, dass zwischen diesen Buchdeckeln ein Vermächtnis stecke.
    Maik schaute nur ratlos auf die angestaubten Abenteuer der rot-weißen Blutsbrüder. Die Schrift klein, die Sätze lang, der Seiten viele. Na ja, später vielleicht, dachte ich und räumte sie in sein Regal. Ich finde immer noch, dass die dunkelgrünen Bücher ziemlich cool aussehen. Aber Maik sah das anders. Er hat sie nie gelesen, nicht ein einziges, auch nicht seinem geliebten Onkel zuliebe.
    Winnetou kam ungelegen. Der stolze Indianer funktionierte nur noch als schwuler Kinoheld in »Der Schuh des Manitu«. Wir alle lasen »Harry Potter und der Stein der Weisen« und abwechselnd der damals achtjährigen Lysa vor. Selbst wenn wir dasselbe lasen, war es nicht das Gleiche. Während Rolf und Maik sich von der fantasievollen Ausstattung, Lord Voldemorts bösen Absichten und Hagrids guten Taten faszinieren ließen,

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