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Muttersoehnchen

Muttersoehnchen

Titel: Muttersoehnchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Fink
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Sorge vor einer ungewollten Schwangerschaft. Am meisten Angst aber hatte Maik vor dem Versagen. Nicht körperlich, wohl aber mental. Weiß ich genug und kann ich es auch anwenden? Fragen, bei denen ich froh gewesen wäre, er hätte sie in Mathe und Latein auch mal an seine Lehrer gerichtet.
    Sex und Intimität gehörten bei meinen beiden Freizeitkünstlern wie selbstverständlich zu einer angestrengten Zerstreuung, bei der viel gezeigt und wenig gemacht wurde. Wir standen als Teenager auch schon unter Stress mit unserem sexuellen Leistungsvermögen, denn auch wir hatten viel mehr gesehen als unsere Eltern, bevor es zur Sache ging, und hatten überdies viel leichteren Zugang zur Pille. Aber irgendwann bog der eine um die Ecke, und ich verlor die Angst und bekam Lust. Bei dem fühlte ich mich nicht mehr hässlich, sondern gut aufgehoben. Als wir soweit waren, dass ich seine Narbe in der Leistengegend berühren durfte, lauschte ich ganz gespannt der Geschichte dahinter und wusste, das ist jetzt ganz privat. Es waren die wundervollen Momente im Leben, in denen sich alles fügte.
    Vielleicht verklärt es sich auch in meiner Erinnerung. Die Gegenwart ist weniger gnädig. Matthias nimmt den Termin beim Gastroenterologen nicht wahr. Ich sage ihm, wie unvernünftig ich das finde. »Aber es ist ja deine Gesundheit.« Ich bin beleidigt. Wenn er meine Fürsorge schon nicht abrufen mag, hätte er sich wenigstens bedanken können. Oder mich mal zu einem romantischen Wochenende
einladen. In Amsterdam war ich lange nicht und dort soll es sehr schnuckelige kleine Hotels geben.

    Meine geschlechtsreifen Kids waren seinerzeit sehr gesund und schon einige Umdrehungen weiter, als ich gedacht hatte. Die Aufklärung online ergänzte meine vorbildliche medizinische Aufklärung um aussagekräftige Bilder und eindrucksvolle Lehrfilme mit interessanten bis abschreckenden Praktiken. Meine Mutter hatte Schmuddelheftchen im Zimmer meines Bruders entdeckt, Maiks Mathelehrer überraschte meinen Sohn, wie er Pornosites von russischen Servern auf dem Schulrechner markierte. Mein Bruder Falk hatte einen Satz heiße Ohren verpasst bekommen, mein Sohn einen akademischen Vortrag über die miserablen Arbeitsbedingungen osteuropäischer Prostituierter. Und ich bekam einen empörten Anruf vom Klassenlehrer.
    Daraufhin wollte ich sehen, was Maik gesehen hatte und schlug vor, es gemeinsam anzuschauen, doch der Pädagoge winkte ab: »Reden Sie mit ihrem Sohn. Solch einen Schweinkram will ich mir nicht ansehen müssen.« Das bleibt also unterm Strich übrig, wenn Empfängnisverhütung selbstverständlich geworden ist und der Gedanke an die Kommune 1 verklärte Blicke auf die Gesichter nachfolgender Generationen zaubert. Ein schlauer Lehrer hätte den Verstoß geschickter genutzt. Wäre Maiks Netzwerkrecherche ein Geheimnis unter Männern geblieben, wäre es für Maik die Verpflichtung zur Dankbarkeit gewesen, deutlich spürbar schon ab der nächsten Unterrichtsstunde. Der Pädagoge aber zog es vor zu petzen. Er zog es vor, sich selbst zu enteiern. Von den 68ern ist nicht viel Befreites in unseren Einfamilienhäusern angekommen, bei der Aufklärung nicht und im Bett auch nicht.
    Soziologen bescheinigen uns seit Jahren, dass wir oversexed und underfucked seien. So viele nackte Brüste auf Plakaten und im Fernsehen, bei so viel Leere im Schlafzimmer. Und wer mal einen richtig langweiligen Abend haben möchte, dem sei der Besuch im Swingerclub empfohlen. In Wirklichkeit sind wir tief im Inneren noch genauso verklemmt, wie wir es unseren Eltern und Großeltern unterstellt haben, aber jetzt sind wir auch noch lustlos. Nur die
Männer wissen: Use it or lose it. Was nicht bedeutet, dass es dazu einer Partnerin bedarf. Die Zeiten, in denen wir Sex als körperliche Fitnessübung betrachteten oder zur Immunabwehr einsetzten, waren schon vorbei, als wir merkten, dass es nur den Blutdruck steigert, nicht die Lust. Sigmund Freud darf sich bestätigt fühlen: Wer unentwegt narzisstisch um den Körper kreist, hat die Libido von der Außenwelt abgezogen.

    Der Abi-Ball wird ein schöner Abend. Maik ist glücklich und tief berührt. Seine peniblen Technikvorbereitungen haben sich gelohnt, die musikalischen Einlagen klingen gut. Lysa schielt mit feuchtem Auge auf den Platz, auf dem Patrick hätte sitzen sollen und den nun Jannick ausfüllt. Wenn Maik in der Vergangenheit auch immer wieder festgestellt hat, wie froh er wäre, wenn er doch endlich raus wäre aus dem Laden, so sehr

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