Mutti ist die Bestie: Die heimliche Diktatur vieler Mütter (German Edition)
machen.
»Du kannst kochen?«, fragen die Kinder verwundert.
»Na klar, als ich Student war, habe ich immer gekocht. Jetzt macht das aber Mama. Ihr wisst ja, sie hat es nicht so gern, wenn ich mich in ihre Küche stelle, sie macht das am liebsten selbst.«
Nach dem Pfannkuchenabend kuscheln sich die Kinder mit dem Vater aufs Sofa. Marcel fragt, ob er mit dem Fahrrad in die Schule fahren darf, und sein Vater erlaubt es ihm. »Wirklich? Mama sagt immer, das ist viel zu gefährlich.«
Die Familie hat während der muttifreien Zeit nicht nur entdeckt, dass es ein Leben jenseits der gewohnten Linsensuppe gibt, die Mama so gut vorkochen kann und die es deshalb so oft zu essen gibt. Die Dunstglocke mütterlichen Sorgens und Wohlwollens hat sich verzogen: Frischer Wind fegt durch die Familienburg. Aber es ist auch ungewohnt und anstrengend, nicht mehr rundum eingebettet zu sein.
Sobald Cornelia aus der Kur zurück ist, zieht das alte Regiment wieder ein. Sie schimpft über den Saustall, der in ihrer Abwesenheit entstanden ist, und wirft sich auf die Bügelwäsche. Mit den Tischdecken werden die alten Sitten wieder aufgelegt, und Sven und die Kinder murren nur kurz. Erleichtert lassen sie sich wieder in die Mutti-Hängematte fallen. Der Abenteuerurlaub ist vorbei. Zwar kommt ab und an noch ein Ananasjoghurt auf den Tisch, aber alles in allem sind die alten Regeln schnell wieder in Kraft.
Das Familienleben mit Mutti ist geordnet, durchorganisiert und perfektioniert. Wie die Familie nach außen auftritt, wie sie sich präsentiert, wie sich ihre Mitglieder gegenüber Außenstehenden verhalten und welche Gewohnheiten sie ausprägen – das alles wird von ihr bestimmt. Selbst Essverhalten, Vorlieben, Geschmack und Genussfähigkeit werden von frühester Kindheit an von Mutti gesteuert. »Liebe geht durch den Magen«, pflegt sie zu sagen, und damit wird jeder Widerspruch im Keim erstickt: Was Mutti kocht, hat dem Kind zu schmecken. Was sie auftischt, ist ein Zeichen ihrer mütterlichen Liebe.
Wagen Sie als Freund der Familie, dem Kind eine ungewohnte Speise anzubieten, kann es Ihnen passieren, dass die Mutti feststellt: »Das schmeckt ihm nicht!«, noch bevor sich das Kind überlegen konnte, ob es das Essen vielleicht einmal kosten möchte. »Das schmeckt ihm nicht«, dann schmeckt es nicht! Zu Hause wird altersgerecht gekocht, extra für das Kind frisch zubereitet, mit Liebe natürlich. Weist es den Löffel zurück, weist es die Liebe zurück. Dieses existenzielle Risiko kann ein kleines Kind nicht eingehen – also isst es den Teller leer, auch wenn es ihm nicht schmeckt. Es lernt früh, dass Widerspruch zwecklos ist und mit Liebesentzug nicht unter einer Stunde bestraft wird.
Diese Form von Kontrolle funktioniert sehr gut – weil sie so subtil ist und weil Mutti stets damit argumentiert, dass sie ja nur das Beste für alle will. Dabei tut sie so, als ob sie keine Wahl hätte, sich anders zu verhalten, einmal gefasste Entschlüsse oder Meinungen zu überdenken, alte Gewohnheiten zu revidieren. Die übrigen Familienmitglieder haben kaum eine Chance, das Spiel zu durchschauen, weil sie permanent darin verwickelt sind. Deshalb sind Experimente auch nur von kurzer Dauer.
So entsteht ein abgeschottetes System, das jedem in der Familie als festes Gerüst dient. Doch die Bequemlichkeit hat ihren Preis: Bezahlt wird später im Leben, und zwar teuer.
Harmonie in der Wagenburg
Junkfood kaufen wir nicht! Milch ist gesund! Die Meiers von gegenüber sind total asozial! Fußball ist was für Rüpelkinder! Angelina Jolie ist widerlich!
Kinder übernehmen nicht nur den Geschmack und die geltenden Regeln von ihren Muttis, sondern auch deren Meinung. Das kann nicht nur Bequemlichkeit sein, dahinter steckt System. Ein fatales System, wie ich als analytischer Psychotherapeut in meiner Praxis immer wieder erlebe. Denn es wird von einer Generation zur nächsten weitergegeben.
Eine unabhängige, selbstbewusste Mutter kann ihren Kindern vermitteln: Du bist etwas wert. Sie liebt ihr Kind, ob es ihrer Meinung ist oder nicht. Sie kann es zulassen, dass das Kind sich auf den Weg macht, selbstständiger und selbstbewusster wird. Diese Mütter schaffen positive Beispiele für die Erziehung von Kindern zu autarken und aufrechten Menschen.
Doch die anderen, die Muttis, sind selbst in Abhängigkeit erzogen worden, ihr Selbstwertgefühl wird von der Bestätigung anderer diktiert. Wenn sie brav sind, Leistung bringen und tun, was von ihnen erwartet
Weitere Kostenlose Bücher