Mutti ist die Bestie: Die heimliche Diktatur vieler Mütter (German Edition)
Detail, das wollte ich alles gar nicht wissen.«
Auf den ersten Blick erscheint der 37-Jährige wie ein großes unbeholfenes Kind. Er ist ein weicher, untersetzter Mann, der mir zur Begrüßung eine kraftlose Hand reicht. Abgespannt lässt er sich in den Sessel fallen. Leise seufzt er auf: »Ich liebe meinen Beruf. Da habe ich alles im Griff, da sind die Dinge klar geregelt. Es gibt für alles genaue Vorgaben und Gesetzestexte, an die ich mich zu halten habe. Da bleibt kein Spielraum, das ist Gesetz. Und ich will das richtig machen, ich brauche Ordnung.«
Im Privatleben dagegen liegen die Dinge für ihn nicht so klar. Dort zeigt sich der hohe Preis, den Uwe noch heute dafür bezahlt, Muttis Söhnchen zu sein. Der einseitigen Rechthaberei und der ständigen Konfrontation mit der Wut der Mutter war Uwe als Junge hilflos ausgeliefert. Wütend sei auch er gewesen, und es habe ihn abgestoßen, erzählt er. Doch es war nicht möglich, diese Aggressionen gegenüber seiner Mutter auszuleben. Sobald er die Stimme erhob oder es doch einmal wagte, zu widersprechen, fuhr sie ihm sofort über den Mund. Wenn er aufbegehrte und zu einem Freund ging, obwohl sie dagegen war, machte sie ihm stundenlang Vorwürfe: »Du wirst genau wie dein Vater!«
So hatte er gelernt, zu schweigen und zu schlucken. Uwe hatte schnell begriffen, dass er mitmachen musste, um den Hass, den die Mutter auf den Vater hatte, nicht auf sich zu ziehen. Er hatte gelernt, alles zu unterdrücken, was die Mutter an den Vater erinnern könnte. Und damit hatte er auch gelernt, alles Männliche zu unterdrücken.
Vielleicht ist das auch der Grund dafür, weshalb sich Uwe eine Schutzschicht angegessen hat – einen Ring aus Speck, an dem er sein Umfeld zumindest äußerlich abprallen lässt.
Auch seine Berufswahl wurde von diesen Erfahrungen und der damals verspürten Hilflosigkeit beeinflusst: Uwe trat eine Stelle als Finanzbeamter an, die ihm Macht und Kontrolle über andere Menschen verlieh. Zum ersten Mal in seinem Leben konnte er hier selber anderen etwas vorschreiben – von seinem sicheren Schreibtisch aus.
Die Ereignisse in seiner Kindheit bereiteten den Boden für die schwierige Beziehung zu Uwes Ehefrau Nora. Im Laufe der Ehe entglitt sie ihm immer mehr, schließlich schickte sie ihn aufgrund seiner wiederkehrenden Albträume in Therapie – nur um ihn wenig später mit den beiden gemeinsamen Kindern zu verlassen.
Uwe sinkt noch mehr in sich zusammen. »Wir hatten einen Riesenkrach. Sie hat mir vorgeworfen, ich sei eine dicke, abstoßende Couch-Potato und es sei unerträglich, mit mir zusammenzuleben«, erzählt er, »und ich hätte nie eine eigene Meinung, sondern redete jedem nach dem Mund. Es stimmt, meiner Mutter und meinem Chef gegenüber habe ich nie Position bezogen.«
Uwe schaut mich verzweifelt an.
»Sie hatte einfach die Nase voll von mir.«
Uwe war als Junge überfordert mit einer emotionalen Last, die er nicht verdauen konnte und unter der er noch als Erwachsener leidet. Niemals tritt er stark und bestimmend auf, nie handelt er mit offenem Visier. Das durfte er als Kind nicht, seine Gefühle musste er verleugnen und verdrängen genau wie seine Liebe zum Vater. Den konnte er nur heimlich sehen, und wenn seine Mutter von einem der seltenen Treffen erfuhr, überzog sie ihn für Wochen mit Schimpf und Schmach.
Wie er es gelernt hat, agiert Uwe in seiner Beziehung und im Beruf höchstens hintenherum. Formulare auf Vollständigkeit zu prüfen und mit einer Mail unter Androhung von Bußgeldern weitere Unterlagen einzufordern ist mehr nach seinem Geschmack.
Falle, selbst gebaut
Silvia ist eine übergewichtige Frau in den Vierzigern mit dominantem, ja lautem Auftreten. Egal, was sie tut, alles wirkt angestrengt und mühsam. Jeder Schritt scheint ihr eine Last zu sein, aber sie ist vorbereitet: Als ich sie an der Haustür empfange, drückt sie mir als Erstes 28 getippte DIN-A4-Seiten in die Hand.
»Ich habe Ihnen das alles aufgeschrieben, damit Sie unsere Situation verstehen; das ist schließlich nicht so einfach«, sagt sie etwas schrill.
Ihr Mann Hartmut erscheint hinter ihr und sieht mich entschuldigend an. Er ist Vorstandsmitglied in einem international tätigen Unternehmen.
»Ich mache mir Sorgen um meinen Mann.« Silvia beginnt, aufgeregt ihre Hände zu kneten. »Ich bin selbst beruflich engagiert, wenn auch nur in Teilzeit, ich habe die Kinder, ein schönes Haus und einen wunderbaren Garten, besser könnte es gar nicht sein. Für mich
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