Mutti packt aus
Klagen würzt, »wenn’s nur dem Murkelchen im Auto nicht immer so schnell schlecht werden würde …«.
Manche dieser Ausreden sind ehrlich, andere reine Not wehr und einige komplett verlogen: Wir alle kennen Frauen, die begnadete Dokumentarfilmerinnen geworden wären oder beinahe einmal das erste Staatsexamen geschafft hätten, wenn sie sich nicht selbstlos den Kindern widmen würden. Hochbegabte Mädchen, die blauäugig genug waren, auf den süßen Jungen von nebenan hereinzufallen, ungewollt schwanger wurden, blutjung heirateten und erst danach merkten, dass sie sich nun auch noch um all die Kinder kümmern müssen. »Meine besten Jahre!!!«, seufzen dünnlippige Frauen und halten sich mit der Vorstellung schadlos, sie hätten ihr Leben für den notorisch undankbaren Nachwuchs und einen nichtswürdigen Hallodri von Ehemann ruiniert.
Wir anderen aber reden uns nur heraus, weil wir irgendwelche Dinge nicht tun wollen und ein achtbares K.o.-Argument brauchen, um uns ein wenig Luft zu verschaffen. Das ist harmlos. Wenn man die Kinder vorschiebt, um sich irgendwo herauszulavieren, bekräftigt man schließlich nur die gesunde Einstellung, familiäre Verpflichtungen wögen schwerer als Häkchen auf dem Terminkalender. Ist doch praktisch: Kinderlose Kollegen in der Redaktion können schlecht widersprechen. Die neuen Männer, die selbst nie auf eine Party verzichten, nur weil sie mit einem Baby zusammenwohnen, bewundern uns insgeheim: Was für eine Heilige diese Frau ist! Und die anderen Mütter wissen ganz genau Bescheid – und werden sich hüten, zu kommentieren. Schließlich will keine eine süffisante Nachfrage riskieren, wenn ihr eigenes Kind das nächste Mal überraschend ganz schwer krank wird.
Und ich atme auf und danke dem Himmel, weil keiner weiß, dass ich für ein Wochenende allein ans Meer fahren will und dass es den Kindern überhaupt nichts ausmacht, denn sie werden mit ihrem Vater dauernd Pizza essen gehen und dabei ohne mich viel mehr Spaß haben. Wen interessiert da der wahre Grund meiner Absage – ich finde die Idee, einen Artikel über den schwul-lesbischen Minigolfclub zu schreiben, einfach nur idiotisch. Ach übrigens: Gern schrieb ich weiter in dieser Manier, doch leider rufen meine Kinder nach mir …
Besserwisser
»Weißt du eigentlich«, fragt meine kleine Tochter herausfordernd, »dass Pias Katze Junge gekriegt hat?« – »Nein«, sage ich ehrlich. »Keine Ahnung!« – »Hat sie aber«, stellt Elise sachlich fest und fügt nach einer kleinen Kunstpause hinzu: »Dann hast du wahrscheinlich auch keine Ahnung wie viele?« Auch da muss ich passen – keine Ahnung. »Drei!«, trumpft Elise auf und schüttelt tadelnd den Kopf. »Du weißt eben auch nicht alles! Manchmal weiß ich es besser.« Würdevoll und hochzufrieden geht sie zu ihren Puppen zurück.
Ja, so weit sind wir jetzt. Manchmal wissen Kinder mehr als Mütter. Erst manchmal, dann immer öfter. Und die Übergänge von der scheinbaren bis zur echten Überlegenheit der Kinder sind fließend, manchmal tut sich auch jäh ein Abgrund auf. Gestern noch habe ich den Sieg meines Sohnes beim Monopoly freundlich vorgetäuscht, heute spielt er mich souverän an die Häuserwände. Gestern noch habe ich pädagogisch wertvoll die Ahnungslose gemimt und seinen großen Bruder gefragt, wie man eigentlich den Videorekorder so programmiert, dass er den Tatort aufnimmt. Heute wollte ich das Gelernte selbständig mit der Fernbedienung anwenden, da nimmt er mir unter dem Gejohle seiner Geschwister mit einem mitleidigen Seufzer das Telefon aus der Hand und mahnt, »Mama, hol doch besser erst mal deine Brille!«
Früher einmal wusste ich über alles Bescheid und konnte alles besser – gezwungenermaßen. Einer muss ja schließlich die Welt zusammenhalten! Wie die Laborratte ihren Forscher dressiert, haben sie mich darauf abgerichtet, dass ich über den momentanen Aufenthaltsort von Gegenständen lückenlos Bescheid wusste, Schäden augenblicklich kenntnisreich behob und das Wetter genau voraussagen konnte. Deshalb wusste ich immer, wo der verschollene Teddy steckt, wie man eine zerbrochene ICE-Lock repariert, wo man an Feiertagen AAA-Batterien auftreibt, was man machen muss, um Kaugummi aus der Lieblingsjeans herauszukriegen und dass man besser Regenjacken anzieht, wenn der Himmel so eine schlammige Farbe annimmt. Hin und wieder habe ich meine Allmacht und Allwissenheit zu leugnen versucht und Sachen gesagt wie »Woher soll ich denn wissen, wo du
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