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Mutti packt aus

Mutti packt aus

Titel: Mutti packt aus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lotte Kühn
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zwischen einer Milchschnitte und einem gesunden Frühstück? Wie viele Kanten hat ein Schreiblernstift? Ist es vertretbar, einen Erstklässler die 137 m Schulweg alleine gehen zu lassen, wenn er das unbedingt will und den Weg monatelang vorher geübt hat? Was können wir als Eltern bloß tun, um den Lehrer bei Laune zu halten? Traumatisieren Zensuren fürs Leben? Sind Hausaufgaben als Menschenrechtsverstoß zu werten? Eltern von Drittklässlern wissen längst: Tatsache ist, dass auch die gründlichste Vorbereitung des Projektunterrichts irgendwann ihren Reiz verliert. Und trotzdem muss man beim Elternabend darüber reden, endlos lang und tief betroffen. Offenbaren die Diskussionen auf dem Elternabend hier nicht ihre innige Artverwandtschaft mit Beziehungsgesprächen oder Grundsatzdebatten in Wohngemeinschaften? Allen drei Gesprächssimulationen ist gemeinsam, dass sie aus allerkleinsten Anlässen entstehen, stundenlang dauern, nachhaltig frustrieren und garantiert zu nichts führen.
    Genauso gut könnte man auch versuchen, den Bus zu schieben, in dem man sitzt.

Lausfriedensbruch
    »Gell, Löttchen«, sagt meine Mutter, »die Läuse bringste mir abba net mit.« Panik jagt ihre Stimme drei Oktaven über Normal ins Hessische. Ich mache beruhigende Tochter-Geräusche, beschwichtige, lüge, streite ab, beteuere. Kein Zweifel, sie hat richtig Angst davor, dass wir sie besuchen könnten.
    Im Auge des Hurrikans ist es ruhig, im Moment jedenfalls, nachdem die erste Angriffswelle über uns hinweggefegt ist. Eine Schneise zwischenmenschlicher Verheerungen hat sie hinterlassen: Blassgrau, sehr klein, mit stechenden und saugenden Mundwerkzeugen ausgestattet, sechs Klammerbeine dazu und ein unstillbarer Appetit auf das frische junge warme Blut unserer Kinder: Die gemeine Kopflaus verbreitet in Kindergärten und Elternhäusern namenlosen Schrecken. Sie entzweit die Eltern der Belegschaft, bringt aus vollem Herzen sich sehnende Omas dazu, ihre heißgeliebten Enkel wieder auszuladen. Ihr Fortpflanzungstrieb übertrifft den unseren deutlich: Im Laufe ihres etwa 30-tä gigen Lebens legt die Läusin zwischen fünfzig und knapp dreihundert Eiern, aus denen nach etwa drei Wochen wiederum Laus und Läusin schlüpfen, von denen jede einzelne wiederum genauso viele Nachkommen an die zarten Haare unserer Kinder klebt, dicht an der Kopfhaut, wo es schön warm ist, weil das unschuldige Blut unserer Babys da lebendig nahe pulsiert. Als die erste hochschwangere Laus auf Sophiechens blondem Kopf gesichtet wurde, bricht Panik aus – die Feuertaufe jeder jungen Elternschaft steht unausweichlich bevor. Zwanzig kleine Schöpfe werden auf der Stelle genauestens untersucht, Myriaden feinster Haare einzeln und in dünnen Strähnen mit elterlichen Argusaugen, Lupe und Nissenkamm durchgemustert. Das Ergebnis ist niederschmetternd. 67 lebende Läuse und eine gewaltige, nicht näher bezifferbare Nachkommenschaft von Nissen, die auf den weichen Kinderlöckchen ihrer Auferstehung entgegenreifen. Und zwar bei allen! Durch die Bank! Sophiechens Mutter atmet auf. Wenn ausgerechnet ihr Kind die Plage angeschleppt und die anderen angesteckt hätte – nicht auszudenken! Denn es gibt sie, diese Eltern, die mit dem Finger auf den einen kleinen Lausezippel zeigen, bei der Suche nach dem Schuldigen grob vorgehen und hemmungslos über den Zusammenhang von Einkommen, Familienstand, Bildungshintergrund, Religionszugehörigkeit und Läusebefall schwadronieren. Noch wird in der Hitze des Gefechts die Schuldfrage hintangestellt. Denn es muss sofort etwas passieren! Aber was? Die Erzieherinnen geben die üblichen Anweisungen, die sich vor allem ums Waschen drehen. Die alten Hasen unter den Eltern rollen genervt mit den Augen, fluchen unflätig und schalten die heimische Waschmaschine auf autoreverse. Die frischgebackenen Eltern rufen aufgeregt durcheinander. Todsichere Tipps und erfahrungssatte Kriegspläne werden herumposaunt und gleich wieder verworfen: Den ganzen Kindergarten auf hundert Grad aufheizen oder bei minus 20 Grad tiefgefrieren, schlagen die Extremisten vor. Die Biofraktion hält beinhart dagegen: Früher habe man Schweinefett auf den Kopf gestrichen, darin erstickten Läuse und Nissen. Auch habe man in befreundeten Familien aus der Einkaufsgenossenschaft vom Naturkostladen mit Essigwasserbehandlungen schöne Erfolge erzielt. Was ist denn mit Teebaumöl, fragt eine Mutter mit fahrigen Handbewegungen und wogendem Busen, das hilft doch eigentlich gegen alles?

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