Mutti packt aus
Augenpaare folgten dem Geschehen mit unverhohlener Bewunderung. »Der traut sich ja was!«, flüsterte seine Schwester hingerissen. Als sie sahen, dass die Pampe sogar bis an die Wand gespritzt war und jetzt in schmierigen Bahnen herunterlief, lachten sie sich schlapp, und das Baby heimste ungerührt seinen gewaltigen Erfolg ein. Leander hatte zum ersten Mal den bewundernden Respekt seiner Geschwister errungen.
Ein empfindliches Gleichgewicht zwischen den Ge schwistern pendelt sich seither jeden Tag aufs Neue ein. Natürlich streiten sie unentwegt, gehen wegen nichts aufeinander los. Sie wetteifern am Küchentisch, im Kinderzimmer und in Gedanken – ihr Wunsch, überlegen zu sein, schimmert noch hinter fast jeder Handlung durch. Das Beste aus sich zu machen, wer wollte das nicht? Jedenfalls versuche ich das milde zu sehen, sobald ich mich wieder eingekriegt ha be. Irgendwo im Niemandsland zwischen Gemeinheit und Großartigkeit treibt die eine Kraft die Kinder auseinander, wenn sie die Unterschiede zwischen sich benutzen, um ihre Einzigartigkeit hervorzuheben. Die andere führt sie zusammen, wenn sie sich ihrer einzigartigen, aber mehrköpfigen Beziehung als Geschwister bewusst werden. Besser als Pech und Schwefel halten sie dann zusammen. Jedenfalls im Spiel. Sie nennen es – sind sie da etwa gemeinsam draufgekommen?! – Vier gegen M. Da einigt sie ein gemeinsames Ziel: mich vorzuführen.
Gelegenheiten gibt es reichlich, trainiert wird stündlich und die Ziellinie bleibt immer in Bewegung. Wenn ich das überstanden habe, bin ich Experte. Dann wird es eine meiner leichtesten Übungen sein, die Regierungen von Nord- und Südkorea zum heiteren, gemeinsamen Picknick im Grenzgebiet zu überreden.
Wenn es etwas gibt, das mich wirklich rasend macht, dann sind es die Aggressionen in Worten und Taten, mit denen sie sich untereinander traktieren. Bisweilen fällt mir nur noch ein Wort dafür ein: Hass.
Nun, dieser Eindruck dürfte zutreffen. Manchmal hassen die zwei Großen die zwei Kleinen, manchmal hassen die drei Jüngeren den Ältesten, oft hassen die Mädchen die Jungs, die mit ungestümer Bosheit zurückhassen. Aber normalerweise hassen sie sich nur mal eben für Minuten oder Stunden – vorausgesetzt, ich verhalte mich nicht ganz besonders ungeschickt, indem ich voreilig Partei ergreife oder zu schlichten versuche. Erwachsene mögen sich auseinandersetzen, aber Kinder streiten sich zusammen. So viel habe ich inzwischen verstanden.
Im Laufe der Jahre habe ich einen tollen Trick entdeckt, um herauszufinden, ob ich wirklich jedem Kind gerecht geworden bin, sich keines bevorzugt oder benachteiligt fühlt und sich auch wirklich alle gleichermaßen geliebt wissen, mal mehr, mal weniger, aber – wie bei den überflüssigen Pfunden auf den Hüften – Hauptsache, übers Jahr kommt’s hin. Wenn die Randale dem Höhepunkt zustrebt, schreie ich einfach: Ruhe!!! Dann mache ich ein betroffenes Gesicht und frage schlicht in die Runde, wer ihrer Meinung nach am schlechtesten wegkommt. »ICH!« schreien sie dann wie aus einem Mund. Und ich kann kurz aufatmen, denn dann, sage ich mir, ist ja alles in Ordnung.
Sie kam und blieb
»Sie soll weg!«, schreit mein Ältester. Dann stampft er mit dem Fuß auf und wirft sich schluchzend auf den Boden. Mir bricht der Schweiß aus. Das Baby auf meinem Arm schreit vor Hunger und wenn mir jetzt nicht sofort etwas Gutes einfällt, schreie ich auch gleich mit. Kurz entschlossen werfe ich zwei Hände voll Smarties durch die Wohnung. Mein Ältester schnüffelt, dann macht er sich jauchzend und auf allen vieren über die herumliegenden Smarties her. Ich atme auf, habe zehn Minuten zum Stillen gewonnen. Erleichtert lasse ich mich auf das Sofa fallen – und versinke in einem Tagtraum.
Der Vater meines Sohnes strahlt mich an, nimmt mich in die Arme und sagt: »Mein Leben ist so reich geworden, seit es dich gibt. Ich liebe dich so sehr und finde dich so wunderbar, dass ich mich entschlossen habe, mir noch so eine Frau wie dich zu nehmen.« Es dauert nicht sehr lange, dann ist es so weit.
Als die neue Frau in mein Leben tritt, stelle ich fest, dass sie sehr jung ist und durchaus einen gewissen Liebreiz hat. Dass sie jedoch im Bett meines Mannes schläft, während ich selbst in meinem eigenen Zimmer übernachten soll, stecke ich nicht so einfach weg. Er erklärt mir, dass die neue Frau nachts oft Hunger hat und sich einsam fühlen könnte und deswegen in seinem Bett besser aufgehoben sei.
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