Mutti packt aus
brüllenden Ayatollah verabschieden dürfen und einen sprechgewandten Menschen begrüßen, der vernünftigen Argumenten durchaus zugänglich ist. Den Sonntagmorgen, der damit begann, dass er appsapp, appelsappel und apsap pel vor sich hinmurmelte und drei Stunden später glückstrahlend das Wort Apfelsaft an die Welt richtete, habe ich zum Anlass für die schönsten gesprochenen Blütenträume genommen. Bald schon würden wir bezaubernde Gespräche über Enten führen, würde er mich mit unzusammenhängenden Bemerkungen über Feuerwehrautos verblüffen und die Zeit des wortfernen Gurrens, Geschreis, Gefühleratens und Gedankenlesens wäre vorbei. Ja, bald schon dürfte ich mich an den wilden Wortschöpfungen kleiner Kinder erfreuen, von denen man in Büchern manchmal liest.
Nicht, dass wir vorher nicht kommuniziert hätten. Von einfachen Lauten, die beim Ausatmen von selbst entstehen, bis zu seinen langen Zwiegesprächen mit Mobiles, Cremedosen, Kochlöffeln und Kuscheltieren dauerte es nur wenige Wochen. Als ich nach ein paar Monaten hingerissen sogar erkannte, dass er schon Sprechpausen in sein Geplapper einbaut, damit ich auch mal zu Wort komme, war mein Entzücken grenzenlos. Hemmungslos repetierte ich auch in der Öffentlichkeit glücklich regredierend, was er sagte. Aiaiaiai? Aiaiai! Rörörö! Rörörö? Mein Baby war begeistert, und ich genoss mit Andacht das Wunder der Sprache, das sich da vor meinen Ohren entfaltete. Im Hin und Her von Geben und Nehmen, Reden und Zuhören formt sich hier schon der Rhythmus von Sprechen und Zuhören und Antworten, lange bevor die Dinge beim Namen genannt werden! Bald schon dämmerte mir, dass der gebrabbelte Silbensalat voll mit Bedeutungshappen war und notierte in ein geblümtes Vokabelheft: Aiaiaai – alles, was sich bewegt. Hamhamaham – alles, in das man reinbeißen kann. Gakgak – Gummistiefel, und nicht nur das. Ein Hof aus Bedeutung umgibt jede scheinbar zufällige Silbe. Gakgak bedeutet: Stiefel anziehen, in den Park gehen, Enten füttern.
Aber Bommeleis? Klingt schon vertraut, irgendwie … Wir stehen vorm Obststand und der Verkäufer brüllt aus Leibeskräften: »Kommt her! Hier gibt’s die tollsten Orangen! Kommt sofort her!« Mir fällt’s wie Schuppen von den Ohren. Bommeleis klingt wie – komme gleich! Meine Standardantwort, tausend Mal täglich quer durch die Wohnung gerufen, wenn mein Junge dringend nach meiner Aufmerksamkeit verlangt! Ja, das ist’s! Ab jetzt wird er wohl alles nachplappern, was die Menschen in seiner Hörweite von sich geben. Alles ausprobieren, was er hört. Seine eigene Sprache finden – ganz ohne Vokabeln aufzuschreiben oder Texte zu lesen oder die Grammatik auswendig lernen zu müssen. Ich bin restlos begeistert über den Satz, den er da gerade gemacht hat. Niemals nie werde ich wagen, an seiner Sprechweise herumzumeckern. Auch werde ich nie verbie ten, was angeblich erwachsenen Menschen an verschrecken den Wahrheiten ein Kindermund kundtun kann. Kein »Schscht!«, kein strenges »Das sagt man nicht!«, kein rüdes »Halt die Klappe!«, wie ich es einst erdulden musste, soll er ertragen müssen. Nichts soll seinen freudigen Umgang mit der Sprache jemals behindern! Und insgeheim beschließe ich, auch auf meine Wortwahl künftig besser zu achten – gemeine Flüche, haltloses Schimpfen und mütterliche Ein-Wort-Sätze werde ich mir ab jetzt verkneifen und nur elaborierten Code senden. Ihn ab heute mit großer, schöner, poetischer Sprache konfrontieren. Am besten fange ich gleich heute Abend damit an. Statt dämlicher Bärchengeschichten wird jetzt Rilke vorgelesen. Oder Kleist. Vielleicht auch die Bibel. Bevor sich das Fenster frühkindlichen Spracherwerbs schließt und sich erst wieder öffnet, wenn pubertärer Sprachmüll anbrandet, wird es mir gelingen, ausgefallene Satzkonstruktionen und schöne Worte in seinen Wortschatz zu mogeln. Geb ich ihm Worte, geb ich ihm Flügel!
Als ich abends im Badezimmer beim Zähneputzen meinem Jungen noch einmal von den wunderbaren Ereignissen dieses Tages vorschwärme, um das Erlebte in seine süßen Synapsen zu versenken, ihm künftig gemeinsam zu beschreitende blühende Sprachlandschaften ausmale, reißt er sich aus meiner fürsorglichen Umklammerung los, spuckt die Zahnbürste aus, geht ein paar Schritte auf die Wand zu. Er deutet auf die Waage auf dem Fußboden und sagt feierlich: »Da! Scheiße!«
Unter Virenbeschuss
»Mama, mir ist so schle…«, und schwups, ergießt sich ein
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