Mutti packt aus
Irgendwann kommt Besuch. Die Gäste begrüßen mich zwar sehr höflich, doch ihre ganze Begeisterung gilt der Neuen. »Ach, wie süß!«, rufen sie alle durcheinander und »Wie bezaubernd sie doch ist! Schau mal die zarten Händchen!« Etwas betreten schaue ich auf meine dicken Finger, an denen noch Malfarbe klebt. Ich verstecke sie schnell hinter dem Rü cken. Aber niemand beachtet mich. Irgendwann wenden sie sich an mich und fragen: »Und? Wie gefällt dir denn die neue Frau? Hast du sie auch lieb?« Aber bevor ich antworten kann, sind sie schon längst wieder mit ihr beschäftigt und beachten mich gar nicht.
Jetzt braucht die neue Frau etwas zum Anziehen. Mein Mann geht an meinen Schrank, nimmt ein paar von meinen T-Shirts und Hosen und gibt sie ihr. Als ich protestiere, erklärt er mir, ich hätte etwas zugenommen, die Sachen seien mir sowieso zu eng, ihr hingegen würden sie doch ganz gut passen. Ja, die neue Frau lebt sich gut bei uns ein. Sie ist richtig emsig, jeden Tag macht sie ganz rasante Fortschritte und es kommt mir so vor, als würde sie außerdem täglich schlauer und frecher. Eines Nachmittags, als ich gerade dabei bin, den neuen DVD-Player zu programmieren, den mein Mann mir gekauft hat, platzt sie ins Zimmer und sagt: »Lass mich mal! Ich weiß, wie das geht!«
Ich bin außer mir und will sie nicht an das teure Gerät lassen. Aber die neue Frau hat schon wieder Fortschritte gemacht: weinend rennt sie zu meinem Mann. Kurz darauf kommt sie mit ihm zurück. Ihr Gesicht ist verheult, und er hat den Arm um sie gelegt. Er sagt ärgerlich zu mir: »Was ist denn so schlimm daran, wenn sie es auch mal versucht? Warum lässt du sie nicht auch mal?«
Eines Tages sehe ich, wie mein Mann und die neue Frau zusammen auf dem Sofa sitzen. Sie amüsieren sich köstlich. Er kitzelt sie und sie kichert. Plötzlich klingelt das Telefon, er nimmt ab. Dann sagt er zu mir, es sei etwas Wichtiges dazwischengekommen, und er müsse sofort ins Büro. Mich bittet er, zu Hause zu bleiben und mich um die neue Frau zu kümmern.
So geht das monatelang weiter. Irgendwann platzt mir der Kragen: »Ich will diese Person nicht mehr im Haus haben. Schaff sie weg!«, schreie ich ihn an. Und wie reagiert mein Mann? Er sagt empört: »Das ist doch Quatsch. Du hast keinen Grund, dich so lächerlich zu benehmen. Sie ist doch wirklich nett!« Oder er sagt mit gerunzelter Stirn: »Ich werde wirklich sauer, wenn du so etwas sagst. Behalt das für dich, ich will es gar nicht hören!« Oder er fällt aus allen Wolken: »Sag mal, was denkst du dir denn, ich kann sie doch nicht wegschicken? Wir sind doch jetzt eine Familie!« Dann mahnt er: »Ich habe nicht nur meinetwegen noch einmal geheiratet. Ich weiß, dass du manchmal einsam bist, und ich dachte, ein bisschen Gesellschaft würde dir guttun.« Er schaut mich missbilligend an. »Liebling, jetzt hab dich doch nicht so. Meine Gefühle für dich haben nichts mit ihr zu tun. Ich liebe euch doch beide!«
Ich schrecke hoch. Das Baby ist eingeschlafen. Neben mir auf dem Sofa sitzt mein Sohn und stillt seinen Teddybären. Plötzlich sehr gerührt und auch ein bisschen reuig drücke ich ihn fest an mich und flüstere ihm zu: »Ich hab nicht gewusst, dass du so unglücklich bist. Es muss wirklich schwer für dich sein, sie immer um dich zu haben. Willst du mir erzählen, was dich so furchtbar an ihr stört?« Er lächelt matt, dann sagt er versöhnlich: »Aus meinem Busen kommt Apfelsaft.«
Wort für Wort
»Bommeleis!«, kreischt mein zweijähriger Sohn vergnügt, während ich ihn im Buggy über den Wochenmarkt schiebe. Er rudert mit den Armen, dreht sich zu mir um und schmettert: »Mama, Bommeleis!« Was um Himmels willen bedeutet Bommeleis? »Du willst doch nicht etwa schon wieder ein Eis?«, sondiere ich vorsichtig und sortiere schon mal in Windeseile meine Gegenargumente, falls er jetzt tief Luft holen und rot anschwellen sollte, weil ich seinem imperativen Charme nicht augenblicklich verfalle. Doch er schüttelt traurig den Kopf und murmelt: »Bommeleis!!!« Ich habe keine Ahnung, was das bedeutet. Dabei lerne ich jetzt schon seit Wochen seine Sprache, während er meine lernt. Seit er entdeckt hat, dass es für jeden Menschen und für jedes Ding andere Laute gibt, neigt sich die Zeit des hilflosen, wütenden Gebrülls, das mir zu entschlüsseln aufgegeben ist, dem Ende zu. Unser junges Verhältnis wandelt sich von einer logistischen Herausforderung zu einer Beziehung. Bald werde ich den
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