Mutti packt aus
deinen Ranzen hingestellt hast! Keinen Schimmer, wo deine Schienbeinschoner sind. Und ob Bienen rückwärts fliegen können, weiß ich auch nicht.« Wobei mir selbst der Kleinste schnell auf die Schliche kam, dass ich mich nur aus reiner Bequemlichkeit dumm stelle, wenn ich vorgebe, keine Ahnung zu haben. So habe ich einmal glatt abgestritten, mich an den Namen des süßen Kälbchens auf dem Ferienbauernhof erinnern zu können. Mein Sohn ließ sich nicht beirren. Und richtig. Nach einem knappen Nachmittag seines liebevollen Nachfragens wusste ich ihn dann doch wieder.
Notgedrungen habe ich mich mit den Jahren in eine effiziente Suchmaschine verwandelt und als Mama Google auf Zuruf Informationshäppchen serviert, Vokabeln geliefert und die Welt erklärt. Wie die Musik ins Radio kommt, wie alt der Mond ist, ob die großen Berge früher klein waren – für jedes Weshalb hatte ich ein Deshalb zur Hand, zu jedem Warum fand ich ein passendes Darum. Doch meine Rolle der Alleskönnerin und Bescheidwisserin wird gerade umgeschrieben. Und weil nichts so schlecht ist, dass es nicht für was gut ist, wittere ich meine Chance: Man muss einfach immer nur zusehen, dass man von den wachsenden Fähigkeiten seiner Kinder angemessen profitiert: Schon beim Putzen ist das praktisch, denn mit ihren kleinen Händen kommen sie prima in die Ecken. Die Quittungen für die Steuererklärung können sie sortieren, sie machen das so schön ordentlich. Und ich freue mich auf den Moment, wenn ich das frischgekaufte Ikea-Regal schlicht in die Ecke stelle und gelassen sagen kann: Das lass ich mal die Kinder zusammenbauen, die machen das schon!
Der erste Elternabend
Da ruckeln wir nun dicht an dicht auf Zwergenstühlchen unbehaglich hin und her – die Beine angezogen, den Rücken mal krampfhaft gerade, mal krumm gekauert, die Blicke unstet. Dauernd drücken die Knie von unten gegen die winzigen T ischchen. In der Reihe vor mir wird hemmungslos gequatscht. Hinter mir ein Gähnen, dort ein Kichern, und da hinten puhlt einer in den Zähnen. Verstohlen mustere ich meinen Banknachbarn. Blondierte Tolle, Ohrring, bestimm t ein Wadentattoo, denke ich boshaft, hat bestimmt einen Sohn und der heißt dann Kevin und prügelt sich täglich, macht kaputt, was ihm nicht gehört, pöbelt alle Mädchen an und beißt.
Pssss … Zischt es jetzt und vorne erhebt sich eine stramm geföhnte, blickdicht geschminkte Dame und erklärt uns die Welt.
Lange war die Schule aus, jetzt fängt sie wieder an. Es ist ja nur eine andere Tür, durch die wir ins Schulgebäude zurückkehren. Anders als früher und doch verstörend gleich. Nicht mehr nur auf eigene Rechnung sind wir frech oder schwatzhaft oder faul, sondern jetzt haftet das eigene Kind gleich mit dafür, wie wir uns betragen. Weil es nur Schüler und Lehrer in der Schule gibt, verwandeln wir uns in Schüler – und schreiben Protokoll, bearbeiten Materiallisten, erfüllen Kuchenanforderungsschreiben und befüllen den Ranzen mit der Markenware, die die Lehrerin wünscht. Sie denkt an alles, was uns im Traum nicht einfallen würde: »Bitte beschriften Sie alle Gegenstände im Federmäppchen, auch die Kappen der Filzstifte!«
Merkwürdig, wie schon allein die Anwesenheit eines Lehrers die Erwachsenen bei dem Elternabend in das alte Ensemble der Mitschüler verwandelt: Vorne sitzt der Schleimer, der unentwegt nickt. Der Streber, der sich sofort zum Elternvertreter wählen lässt und natürlich gerne am nächsten Wochenende das Klassenzimmer renoviert, während die anderen sich wegducken. Die Brave, die beflissen die Marken der gewünschten Filzstifte notiert. Die Feige, die bei jedem Lehrerwort mit den Augen rollt, aber sobald der Lehrerblick sie trifft, lieb lächelt. Der Clown, der die Lehrerin mit kecken Witzchen charmiert. Der Querulant, da hinten in der letzten Reihe, mit gerunzelter Stirn und verschränkten Armen und der als Einziger nach dem Elternabend sofort geht. Die anderen umstehen die Lehrerin, um noch eine kleine private Spezialbemerkung unter vier Augen loszuwerden, die den Pakt mit der Macht besiegelt.
Die Lehrer sind die alten. Sie haben immer noch Macht über mich, sogar noch mehr als früher, weil sie in sechs Jahren darüber bestimmen, ob mein Kind im Hauptschulkröpfchen oder im Gymnasialtöpfchen landet. Bis dahin sind an die vierzig Elternabende zu bestehen. Man kriegt es mit einer Mixtur aus Geistern und Gesinnungen zu tun, während man spannende Fragen diskutiert: Was ist der Unterschied
Weitere Kostenlose Bücher