My Lady 0145 - Sheila Bishop - Der geraubte Kuss
Augenblick rannte ein kleiner Junge aus der Tür des Gasthauses, und eine Frau schrie warnend auf.
Tom bemerkte das Kind und zerrte hart an den Zügeln. Das links laufende Pferd bäumte sich auf; die Karriole geriet aus der Spur, und Tom wurde vom Wagen geschleudert.
Leute rannten herbei und halfen dem erschrockenen Kammerdiener, das verstörte Gespann zu bändigen. Der greinende, glücklicherweise unverletzt gebliebene Knabe wurde von seiner Mutter aus dem entstandenen Durcheinander gerettet.
Entsetzt war Olivia zu Mr. Brooke gelaufen. Minutenlang regte er sich nicht, und sie befürchtete bereits, er sei tot. Hastig fühlte sie ihm den Puls und merkte, daß er noch lebte.
„Wir tragen ihn ins Haus, Madam“, sagte der Wirt.
„Ja, und lassen Sie unverzüglich einen Arzt holen“, antwortete sie und folgte den Männern, die Mr. Brooke in einen Salon brachten und auf das Sofa legten.
Er schlug die Augen auf und sagte halbbenommen: „Ich brauche ein Glas Cognac!“ Dann erkannte er Miss Fenimore und fragte ängstlich: „Habe ich das Kind verletzt?“
„Nein.“
„Gut. Wo bleibt der Cognac?“
„Sie sollten jetzt keinen Alkohol trinken, Mr. Brooke“, antwortete sie streng.
„Nicht nach dem Sturz auf das Pflaster.“
„Ach, Unsinn! Ich war höchstens eine Minute ohne Bewußtsein.“ Tom stellte die Beine auf die Erde und zuckte zusammen. „Oh, verflixt! Ich glaube, ich habe mir irgend etwas gebrochen“, murmelte er mit schmerzverzerrter Miene.
„Der Arzt wird sicher bald hier sein“, sagte Olivia.
„Ich brauche keinen!“ entgegnete er heftig.
„Jemand muß Ihnen doch den Fuß richten, falls er gebrochen ist“, gab sie ihm ruhig zu bedenken.
Mürrisch verzog er den Mund, wußte jedoch, daß sie recht hatte. „Da ich Miss Osgood nicht sehe, nehme ich an, daß sie in Maygrove geblieben ist“, sagte er brummig.
„Ja. Die Nonnen waren sehr freundlich und verständnisvoll. Sie werden sich gewiß gut um sie kümmern. Sie machte auf mich den Eindruck, daß sie gern bei ihnen blieb.“
„Gut. Waren Sie im Haus?“
„Ja, ich hatte ein kurzes Gespräch mit der Mutter Oberin und habe auch Lady Laybourne kennengelernt. Sie kam zu mir in den Empfangssalon und unterhielt sich mit mir. Ich nehme an, Zweck Ihrer Frage war, das zu hören.“
„Ja, ich hatte befürchtet, daß sie mit Ihnen reden würde.“
„Ich verstehe nicht, warum. Sie hat mit der größten Hochachtung von Ihnen gesprochen. Es steht mir nicht zu, über Ihre Beziehung zu ihr zu urteilen, und außerdem ist das alles schon lange her. Im übrigen wußte ich längst über das Verhältnis Bescheid, das Sie mit ihr hatten. Neu war jedoch für mich, daß Sie Lady Laybourne nach dem Tode ihres Gatten gebeten hatten, Ihre Frau zu werden. Es tut mir leid, daß ich das nicht früher wußte und mich deshalb an dem Tag, an dem Sie mir den… die Aufwartung machten, so unfreundlich Ihnen gegenüber benahm. Ich hätte nie die schrecklichen Dinge glauben dürfen, die meine Cousine Elizabeth über Sie geäußert hat.“
„Ich habe mich Ihnen gegenüber sehr schäbig benommen“, gestand Tom. „Ich hätte damals am Morgen nach dem Konzert nicht ohne ein Wort der Erklärung für Sie abreisen dürfen. Aber alles mußte sehr schnell gehen. Mein Patensohn hatte mir berichtet, Sir Martin Laybourne sei gestorben und habe seine Gemahlin enterbt. Ihr Schwager wolle sie aus Welworth Abbey vertreiben und verweigere ihr jeden Unterhalt. Deshalb bin ich schweren Herzens nach Cassondon gefahren und mußte feststellen, daß Lady Laybourne nicht im mindesten erfreut war, mich wiederzusehen. Sie weigerte sich, mich zu heiraten, und äußerte lediglich ihr Bedauern, falls sie meine Gefühle verletzt haben sollte. Ich versicherte ihr, ich sei nicht gekränkt, und erzählte ihr von Ihnen. Sie wünschte mir viel Glück, doch das war, wie sich dann herausstellte, reichlich voreilig. In der Hoffnung, Ihnen alles erklären zu können, kehrte ich nach Parmouth zurück und hatte das Gefühl, in ein Wespennest gestochen zu haben. Nun, wahrscheinlich hatte ich das verdient.“
Mr. Brooke versuchte, sich bequemer hinzusetzen, und sofort holte Olivia ein Kissen und legte es ihm unter das Knie des verletzten Beines. „Ist es besser so?“ erkundigte sie sich besorgt, zog einen Sessel heran und setzte sich vor das Sofa.
„Ja, danke“, antwortete Tom und fügte rasch hinzu: „Es ist nicht notwendig, bei mir zu bleiben, wenn Sie heimfahren wollen, Madam. Es sind
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