My Lady 0145 - Sheila Bishop - Der geraubte Kuss
schwarzgekleidete Dame erschien auf der Schwelle.
„Ich nehme an, Sie sind Miss Fenimore“, sagte sie lächelnd.
„Ja“, antwortete Olivia.
„Ich bin Anne Laybourne“, stellte sie sich vor, betrat den Salon und schloß die Tür. „Ich war schon sehr neugierig, Sie kennenzulernen, Madam. Wollen wir uns setzen?“
„Gern“, stimmte Olivia nach der ersten Überraschung zu und nahm in einem Sessel Platz. „Wer hat Ihnen von mir erzählt, Lady Laybourne?“
„Eine Freundin“, antwortete Anne ausweichend. „Ich habe noch etwas erfahren und hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, daß ich es erwähne. Ich weiß, daß Sie vor der Verlobung mit Mr. Brooke standen. Es täte mir leid, wenn die Verbindung meinetwegen nicht zustande gekommen wäre.“
Olivia spürte, daß ihr die Röte in die Wangen stieg. Bei der Freundin handelte es sich vermutlich um Mrs. Woodvile. Olivia begriff nicht, warum die Schwägerin ihrer Cousine es für richtig gehalten hatte, Lady Laybourne die Neuigkeit von der möglichen Verlobung mitzuteilen.
„Vergeben Sie mir, wenn ich aufdringlich wirken sollte“, fuhr Anne fort. „Ich komme nur auf diese Angelegenheit zu sprechen, weil ich Sie beruhigen möchte.
Ich kann verstehen, daß Sie Mr. Brookes Heiratsantrag zurückgewiesen haben, falls Ihnen bekannt gewesen sein sollte, daß er vorher um meine Hand angehalten hatte. In Ihren Augen muß er sehr wankelmütig gewirkt haben.
Wahrscheinlich haben Sie seine Werbung dann als Beleidigung empfunden. Ich versichere Ihnen jedoch, daß die Dinge etwas anders liegen.“ Anne senkte den Blick und verschränkte die Finger im Schoß. „Gewiß ist meine Geschichte Ihnen geläufig“, sagte sie leise und erzählte von ihrer Beziehung zu Thomas Brooke.
„Als mein Gatte dann im September starb“, fügte sie zum Schluß hinzu, „kam Mr.
Brooke zu mir und versprach, mich zu heiraten, wann immer ich es wollte. Ihm war bekannt, daß mein Schwager, der den Titel geerbt hatte, mich nicht mochte und mich aus meinem Heim vertreiben wollte.“
Olivia schwirrte der Kopf. „Habe ich Sie richtig verstanden, Lady Laybourne, daß Mr. Brooke Ihnen den Heiratsantrag nach dem Tode Ihres Gatten gemacht hat?“ fragte sie stirnrunzelnd.
„Wußten Sie das nicht? Er tat das natürlich nur, weil er mir die Ehe schon früher versprochen hatte und nicht wollte, daß ich mittellos bin, wenn ich nicht mehr in Welworth Abbey war. Er konnte nicht ahnen, daß mein Schwager mir inzwischen verziehen hatte und nicht beabsichtigte, mir meine Einkünfte vorzuenthalten. Mr.
Brooke hat als Kavalier gehandelt. Ich bin sicher, Sie wissen, daß er ein grundanständiger Mann ist.“
Olivia war sprachlos. Mit dieser Wende der Dinge hatte sie nicht gerechnet.
„Ich sollte Sie das nicht fragen, aber ich wüßte gern, ob er um Ihre Hand angehalten hat.“
„Ja“, bestätigte Olivia leise. „Ich habe ihn abgewiesen.“
„Das tut mir leid. Ich bin überzeugt, Sie beide hätten wunderbar zusammengepaßt. Er hat so viele gute Eigenschaften und verdient, glücklich zu sein. Natürlich bin ich mir darüber im klaren, daß er und ich uns falsch verhalten haben. Doch damals war er ungebunden. Sie können sich nicht vorstellen, Miss Fenimore, wie ich das Geschehene bereue. Ich war siebzehn, als ich einen Mann heiraten mußte, den ich nicht liebte. Erst in den letzten Jahren sind Martin und ich uns nähergekommen und beinahe glücklich miteinander gewesen. Nach seinem Hinscheiden wurde ich von den furchtbarsten Gewissensbissen geplagt und werfe mir vor, daß ich ihm gegenüber schon früher viel aufgeschlossener hätte sein sollen. Als ich vorhin von Ihrer Anwesenheit hörte, entschloß ich mich, bei Ihnen zu Mr. Brookes Gunsten zu sprechen, weil ich der Ansicht bin, daß wir beide, jede auf ihre Art, ihm Unrecht getan haben. Würde ich je wieder heiraten, was ich nicht vorhabe, wäre er gewiß nicht der Mann, den ich zum Gatten nähme.“
„Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie mich ins Vertrauen gezogen haben. Es stimmt, ich bin von falschen Voraussetzungen ausgegangen, was Ihre Beziehung zu Mr.
Brooke betrifft. Allerdings nicht in der Weise, die Sie vermutlich annehmen. Mir wurde gesagt, er sei nicht gewillt, Sie zu heiraten, nachdem er Sie in diese peinliche Lage gebracht hatte.“
„Du lieber Himmel, wer hat Ihnen das erzählt?“ entrüstete sich Anne. „Behauptet man etwa, er habe mich sitzenlassen? Das entspricht ganz und gar nicht den Tatsachen!“
„Ich entsinne mich
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