My Lady 0145 - Sheila Bishop - Der geraubte Kuss
wollen noch immer mit Miss Osgood fahren.“
„Ja, Sir.“
„Ich stelle Ihnen meine Kutsche zur Verfügung“, sagte Tom. „Wenn Sie wollen, können Sie schon morgen reisen.“
„Ja“, willigte Olivia ein, verabschiedete sich und hoffte, Mr. Brooke möge sie heimbegleiten. Er schlug es jedoch nicht vor, sondern wandte sich nach einigen belanglosen Worten gleich den auf dem Tisch liegenden Papieren zu.
Tags zuvor, als sie ihm auf dem Weg zu den Osgoods begegnet war, hatte er sich freundlich und aufgeschlossen benommen, bereit, seinen Teil der Verantwortung für Miss Osgoods mißliche Lage zu übernehmen. Nun jedoch hatte Olivia sich wieder sein Mißfallen zugezogen, und sie kannte nicht einmal den Grund.
11. KAPITEL
Gegen zehn Uhr traf die Kutsche ein, und tränenüberströmten Gesichtes sagte Flora der Freundin Lebewohl. Offenbar befürchtete sie, Madeleine nie wiederzusehen.
James begleitete die Damen zum Wagen und wünschte ihnen eine gute Reise.
Oliva befürchtete, Miss Osgood könne ebenfalls in Tränen ausbrechen, und war erleichtert, daß sie beim Abschied gefaßt blieb.
Das Wetter hatte sich gebessert, und die Sonne schien. Nachdem die Karosse von der nach Brantisford führenden Straße abgebogen war, kannte Olivia die Gegend nicht mehr und schaute neugierig aus dem Fenster. Sie bewunderte die Landschaft und lenkte auch Miss Osgoods Interesse auf die reizvolle Natur.
Kurz vor der Ankunft im Kloster lächelte Madeleine schwach und sagte nachdenklich: „Ich befürchte, zu Beginn werde ich den Aufenthalt bei den Nonnen wohl etwas eigenartig finden.“
„Sie müssen nicht bei Ihnen bleiben, wenn Sie nicht wollen“, erwiderte Olivia und drückte ihr aufmunternd die Hand. „Sie können ebensogut mit mir zurückkehren.“ Sie war so um sie besorgt, daß sie nicht auf die Umgebung achtete und nur aus dem Augenwinkel ein Tor und hohe Mauern wahrnahm. Die Allee zum Kloster war nicht sehr lang, und plötzlich hielt die Kutsche an. Olivia sah ein Gebäude im elisabethanischen Stil und sagte verblüfft: „Du meine Güte, wir sind in Maygrove Manor!“
„Ja“, antwortete Madeleine gelassen. „Soweit mir bekannt ist, sind die Nonnen vor drei Jahren hier eingezogen.“
Bestürzt überlegte Olivia, wie es möglich sein konnte, daß Mr. Brooke ein Haus besaß, in dem katholische Schwestern lebten. Die Wirtin des Gasthofes, in dem Olivia auf der Hochzeitsreise mit Hetty und deren Mann zur Rast eingekehrt war, hatte doch geäußert, Mr. Brooke habe hier verschiedene Frauen untergebracht.
Diese Möglichkeit erschien Olivia sehr viel wahrscheinlicher. Befremdet fragte sie sich, warum er ihr verschwiegen hatte, welchem Zweck das Gebäude wirklich diente.
Der Kutscher erkundigte sich, ob die Damen auszusteigen wünschten. Olivia überreichte ihm den Brief und bat darum, ihn im Kloster abzugeben. Er klopfte an das Portal, und Minuten später erschien eine schwarzgekleidete Nonne. Sie nahm das Schreiben entgegen und schloß die Tür.
Nach einer Weile kam eine andere Schwester aus dem Haus und sagte in ausgezeichnetem Englisch: „Ich bin Schwester Therese. Es tut mir leid, daß Sie so lange in der Kälte ausharren mußten. Bitte, kommen Sie herein.“ Olivia und Miss Osgood stiegen aus und folgten der Nonne in eine schmucklose Halle.
„Mutter Marie möchte Sie gern sprechen, Mademoiselle“, wandte Schwester Therese sich an Miss Osgood. „Allein, wenn ich bitten darf. Mit Ihnen, Madame, wird sie sich anschließend unterhalten. Selbstverständlich werden keine Entscheidungen ohne Ihre Billigung getroffen. Wenn Sie hier Platz nehmen wollen?“ fügte sie hinzu und öffnete die Tür zu einem kleinen, an der Halle gelegenen Empfangsraum.
Olivia schlenderte zum Fenster und blickte in den Garten, den sie vor vier Monaten mit der Cousine und Mr. Makepeace durch das schmiedeeiserne Gitter gesehen hatte. Unwillkürlich befremdete sie der Gedanke, daß sie angenommen hatte, Mr. Brooke hielte in diesem Haus seine Geliebten aus. Wie konnte dieser Eindruck überhaupt entstanden sein? Jäh wurde ihr klar, daß die Herbergswirtin in ihrer Entrüstung die Nonnen gemeint hatte, als sie von den in diesem Anwesenden wohnenden Weibern sprach. Sie war nicht moralisch empört gewesen, sondern nur eine engstirnige Frau, die sich über die Anwesenheit katholischer Nonnen aufgeregt hatte. Olivia war Opfer eines peinlichen Mißverständnisses geworden und froh, daß Mr. Brooke das nicht wußte.
Die Tür ging auf, und eine
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