Mylady Adelshochzeit 01
fest entschlossen und wollte nicht auf die Stimme der Vernunft hören. Sie werden sich doch auf die Suche nach ihr machen, lieber Lord Amerleigh, nicht wahr? Ich wüsste nicht, an wen ich mich sonst wenden sollte, und Ihnen kann ich vertrauen.“ Beinahe atemlos stieß sie die Worte hervor, die Hand an den Hals gelegt, um die Wirkung noch zu betonen. Nun holte sie ein Taschentuch aus ihrem Ridikül hervor und betupfte sich damit die Augen.
„Natürlich“, erwiderte Roland, während seine Gedanken bereits um Möglichkeiten kreisten, wie er am besten vorgehen sollte. „Wann ist sie abgereist?“
„Gleich heute in der Früh.“
„Dann hat sie einen guten Vorsprung. Wissen Sie, wo sie sich in Liverpool aufhalten wird?“
„Sie wollte ausgerechnet zum Hafen, deshalb stehe ich ja solch große Ängste um sie aus. Das Schiff mit ihrer Ladung hat Verspätung …“
„Sorgen Sie sich nicht, Mylady. Ich werde sie finden und dafür sorgen, dass ihr kein Leid geschieht.“
„Oh, danke, danke. Das ist mir eine große Erleichterung.“
Er verabschiedete sich und sah nicht mehr, dass sich ihre Tränen in ein Lächeln verwandelten, sobald sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte.
Im Galopp ritt er zurück nach Amerleigh Hall und wies Bennett an, die Kutsche vorfahren zu lassen, bevor er sich auf die Suche nach seiner Mutter machte. Er fand sie im Schulzimmer bei Miles und Tommy. Um den Unterricht nicht zu stören, winkte er ihr zu, und sie schlich auf Zehenspitzen hinaus. „Was ist, Roland?“
„Ich hoffe, nichts, aber Miss Cartwright ist allein nach Liverpool aufgebrochen, und Lady Ratcliffe ist in größter Sorge.“
„Also willst du ihr nachreisen“, sagte sie und folgte ihm in sein Gemach, wo sie zusah, wie er Nachtwäsche und Kleidung achtlos in eine Reisetasche stopfte. Sie nahm sie ihm ab und fing sorgfältig an zu packen.
„Ja, ich muss ohnehin nach Liverpool, um die neue Täfelung für den Speisesaal zu bestellen. Falls Miss Cartwright fragt, ob ich ihr gefolgt bin, kann ich behaupten, es sei reiner Zufall. Und falls nötig, werde ich Unterschlupf bei Geoffrey suchen.“
„Unterschlupf … Roland, welch merkwürdige Ausdrucksweise“, sagte sie lachend. „Man kann Geoffreys Gästezimmer wohl kaum als Unterschlupf bezeichnen.“
Sein Cousin Geoffrey Temple hatte sein Vermögen mit der Lieferung von Uniformen an die Armee gemacht und wohnte sehr komfortabel.
Roland gab seiner Mutter einen Kuss auf die Wange und eilte aus dem Haus, wo Bennett bereits mit der Kutsche wartete. „Machen Sie Tempo“, wies er ihn an, warf seine Tasche auf den Sitz und ließ sich in die Polster fallen.
Er rechnete nicht damit, vor neun oder zehn Uhr abends in Liverpool anzukommen. Außerdem hatte Charlotte einen halben Tag Vorsprung. Er würde sich also wohl erst am nächsten Tag auf die Suche nach ihr machen können. Was er ihr allerdings sagen würde, wenn sie sich trafen, wusste er noch nicht. Sie würde ihn gewiss nicht mit dergleichen Erleichterung begrüßen wie Lady Ratcliffe. Dazu war sie viel zu unabhängig. Doch er hatte nur das eine Ziel, sie zu finden und zu beschützen.
Roland kam es vor wie eine halbe Ewigkeit, doch endlich kam Geoffreys Stadthaus in Sicht. Sein Cousin, ein gutmütiger, herzlicher Mann, empfing ihn mit aufrichtiger Freude, ließ ihm ein Abendessen bereiten und sagte, er könne so lange bleiben, wie er mochte.
Nach dem Dinner leisteten sie Geoffreys Gemahlin Elizabeth im Salon Gesellschaft, und Roland verbrachte die beiden darauffolgenden Stunden mit Erzählungen über Amerleigh und dessen Bewohner. Je länger er redete, desto klarer wurde ihm, wie viel ihm das alles bedeutete. Doch was mehr zählte als das Haus seiner Ahnen und sein Besitz, war Charlotte. Er konnte sich ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen. Wo ist sie? Werde ich sie finden?
Am nächsten Morgen stand er früh auf, ließ die Pferde in Geoffreys Stall und fuhr mit einer Mietkutsche zum Hafen, der ihm wie ein Wald aus Masten erschien. Zahlreiche Schiffe wurden am Kai entladen und beladen. Die „Fair Charlie“ war hier allen bekannt, und er erfuhr, dass sie bereits mehr als zwei Wochen Verspätung hatte. Miss Cartwright hatte man am Tag zuvor gesehen, teilte man ihm im Hafenbüro mit, allerdings wusste man nicht, wo sie hingegangen war.
Er schaute sich um, eine Menge Menschen tummelte sich hier, Hafenarbeiter, Seeleute, Reisende. Wohin sollte er gehen? Was würde er an ihrer Stelle tun? Die Arbeiter mit Garn
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