Mylady Adelshochzeit 01
herausfinden.“
„Zweifellos wird es jeder im Laufe der Zeit herausfinden. Im Moment indes bin ich vielmehr daran interessiert, einen gelungenen Ball auszurichten.“
Doch schon am nächsten Tag trat dieser Wunsch in den Hintergrund, denn bei ihrer Ankunft in der Weberei teilte man ihr mit, dass die dringend benötigte Garnlieferung, die vor einigen Tagen per Schiff hätte ankommen sollen, immer noch nicht eingetroffen war. Im Laufe der darauffolgenden Woche spitzte sich die Situation immer mehr zu. Es gab Gerüchte, dass das Schiff in einem Sturm gesunken sei und die Fabrik schließen müsse, sobald alle Garnvorräte verwebt seien. Charlotte musste all ihre Zeit aufwenden, um ihre Arbeiter davon zu überzeugen, dass diese Behauptung nicht der Wahrheit entsprach, was nicht so einfach war, da im Lagerhaus kaum noch Garn vorhanden war, ausgerechnet zu einer Zeit, in der sie mehr Aufträge als gewöhnlich zu erfüllen hatten.
Ihr blieb nichts anderes übrig, als selbst nach Liverpool zu reisen, um herauszufinden, was mit dem Schiff tatsächlich geschehen war, und, falls nötig, eine andere Lieferquelle aufzutun.
„Aber du kannst jetzt nicht fort“, beschwerte sich Lady Ratcliffe, als sie ihrer Tante ihre Entscheidung mitteilte. „Du wirst nicht rechtzeitig zum Ball zurück sein.“
„Natürlich werde ich das. Der Ball ist ja erst in einer Woche, und bei dir sind die Vorbereitungen in guten Händen. Ich werde nicht länger bleiben als nötig.“
„Wer wird dich begleiten?“
„Niemand, wenn man von Talbot, dem Kutscher, einmal absieht.“
„Charlotte, Damen reisen nicht unbegleitet über Land. Da kann alles Mögliche geschehen.“
„Ich bin keine Dame und werde auch nie eine sein.“
Sie gab vor, das Gemurmel ihrer Großtante nicht zu hören, die, als sie das Zimmer verließ, ausstieß: „Ich werde dich schon zu einer Dame machen.“
Roland hatte Charlotte seit Tagen nicht mehr gesehen. Sie hatte nicht am Unterricht teilgenommen, und auch im Dorf hatte man sie nicht gesehen. Sie fehlte ihm. Er vermisste ihre Wortgefechte, ihr reizendes Lachen, ihren Sinn für Humor, wenn sie ihn bei einer Meinungsverschiedenheit zu übertrumpfen suchte. Er vermisste ihre Fürsorge für Tommy, ihr Verständnis für die Bedürfnisse des Jungen, ihre unterschwellige Leidenschaft. Und er würde es genießen, diese Leidenschaft in ihr zu wecken. Oh, welchen Lauf nahmen seine Gedanken?
„Warum stattest du ihr nicht einen Besuch ab, um dich zu vergewissern, dass alles in Ordnung ist?“, schlug seine Mutter vor, als er beim gemeinsamen Tee mit ihr seine Sorge in Worte fasste. „Mir sind Gerüchte zu Ohren gekommen …“
„Gerüchte? Inwiefern?“
„Anscheinend hat die Weberei Schwierigkeiten, genügend Garnvorräte zu besorgen.“
„Wer hat dir das erzählt?“
„Lady Brandon, und die hat es von ihrem Gatten.“
„Meinst du, Charlotte ist durch die Eröffnung des neuen Stollens in Browhill in finanzielle Schwierigkeiten geraten?“
Seine Mutter zuckte mit den Schultern.
„Wer kann das schon sagen. Falls ja, könntest du dies augenblicklich ändern. Aber vielleicht ist es dir lieber, sie ruiniert zu sehen.“
„Natürlich nicht, Mama, was denkst du denn von mir?“
„Dann gib diesen Rachefeldzug doch auf. Ich wünschte, dein Vater hätte ihn nie begonnen.“
Roland wünschte sich dies vielleicht noch mehr als seine Mutter. Wenn Charlotte Bankrott ging, würde man sie gewiss zum Gespött der ganzen Grafschaft machen. Unvermittelt verspürte er den Wunsch, sie davor zu beschützen, wenngleich er auch nicht recht glauben konnte, dass sie von Geldnot geplagt war. Dazu war sie viel zu vermögend. „Ich habe Mountford bereits vor einiger Zeit angewiesen, die Sache nicht weiter zu verfolgen.“
„Tatsächlich?“, fragte seine Mutter überrascht. „Hast du Miss Cartwright das auch mitgeteilt?“
„Nein, noch nicht. Ich suche sie wohl besser gleich auf. So wie ich sie kenne, wird sie indes völlige Gleichgültigkeit vorschützen und mir erwidern, dass sie ohnehin nie daran gezweifelt hätte, dass das Land rechtmäßig ihr gehöre.“
Er ritt nach Mandeville, wo er eine sehr besorgte Lady Ratcliffe antraf.
„Ich bin ja so froh, dass Sie kommen, Lord Amerleigh“, meinte sie, während sie zu seiner Begrüßung eilte. „Meine Großnichte ist gänzlich ohne Begleitung, allein mit dem Kutscher, nach Liverpool gereist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dies ein gefahrloses Unterfangen ist, aber sie war
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