Myrddin
war. Du bist auf dem Weg nach England gewesen und nur zufällig hier bei uns gestrandet. So war es doch, William, oder wie immer du heißen magst …“
Myrddin schwieg schmunzelnd.
„Ich werde dich weiter William nennen“, fuhr Tralee fort. „Du hast keine Papiere und du hast wahrscheinlich nie welche besessen. Ich befürchte, daß du etwas vorhaben mußt, wovon ich mir kein Bild machen kann. Deine Puppen sind nur eine wundervolle Tarnung für dich. Du gaukelst den Menschen etwas vor, William. Ich habe es immer gespürt – und du hast alles zugelassen, was hier geschehen ist, als ginge es dich nicht das Geringste an.“
„Leslie, solange wir zusammen sind, wird und nichts geschehen. Das verspreche ich und mehr wirst du von mir nicht erfahren. Dichte dir zusammen, was du dichten kannst, doch sei auf der Hut vor deinen drolligen Wunschbildern.“
„Es ist so viel geschehen, William. Zu vieles. Wir werden wegen Mordes gesucht, ich fühle mich dreckig und ungepflegt. Und wir haben unsere Freiheit verloren. Und da sagst du mir: es wird uns nichts geschehen? Was ist das für ein Unsinn? Was spinnst du dir in deinem Hirn zurecht? Was hast du in deinem Leben erlebt, daß du das, was bisher geschehen ist, als Bagatelle abtust?“
„Du hast die Freiheit, zu tun und zu lassen, was du möchtest“, sagte er ruhig. „Was du mit Einschränkungen verbindest, ist die Urgewalt aller natürlichen Kräfte, Leslie. Du bist nicht in der Hütte Jeremiahs frei gewesen, noch warst du es jemals in deiner Wohnung – Freiheit hast du hier draußen. Frei bist du, wo du Mensch sein kannst, du Schnupfen bekommen kannst und deine schmerzenden Glieder dir dein Alter verraten, über das du dann lächeln kannst, weil du frei bist. Existentielle oder finanzielle Unabhängigkeit macht dich längst noch nicht frei. Sie kann dir nur die Zeit schenken, deine Freiheit zu finden“, erklärte der Zauberer eindringlich.
„William, du hältst dich wohl für so was wie ’n Heilsbringer … für einen Guru, was? Meditation und Flower-Power … haben wir alles schon gehabt“, spottete sie und überlegte weiter, daß der Gedanke gar nicht so abwegig wäre. „Du könntest so eine Art Sektenchef sein. Deine langen Haare, dein Bart, dein Stab … und du wirst in England erwartet. Alles Markenzeichen? ’ne okkulte Sekte? Vielleicht sogar von der Regierung verboten?“ machte sich in ihr der neue Gedanke breit und ließ Myrddin in einem neuen Licht erscheinen.
„Denke du richtig darüber nach, Leslie, nur verschone mich bitte mit deinen Vermutungen.“
„Weil sie zutreffen, nicht wahr?! Gebt mir euer Geld und ich verheiße euch die Freiheit. Meditiert und schuftet und ich erhalte mein Imperium! Betet und ich verwalte eure Gelder. Dafür segne ich euch und verheiße euch die ewige Freiheit auf Erden, solange ihr mir meine Prostituierten zahlt. Macht euch frei und liebt, rammelt, bis die Schwarte knackt … und gebt mir, was ihr nicht braucht. Das könnte dir passen, einer von diesen Großmeistern, Priestern oder Fetischisten, die sich auf Kosten anderer durchfressen und dabei eigentlich nur ihr kümmerliches Sexualleben in Schwung bringen wollen …“
„Und was bist du, wenn du nicht einmal einen Menschen, der neben dir sitzt, richtig einschätzen kannst? Was hast du in deinem Leben getan, das dir diesen Unsinn einflüstert, den du dir selbst noch zu glauben scheinst? Wie kannst du meinen, die Dinge um dich herum zu verstehen, wenn du nicht einmal mich verstehst? Und ich bin nur eine einzelne Person, Leslie. Glaubst du dann, daß du überhaupt zu einer klaren Bewertung deiner Umgebung in der Lage bist? Was hast du nur in deinem Leben versäumt?“
„Willst du mir sagen, daß ich verrückt bin?“
„Nicht unbedingt. Ich will dir sagen, daß du deine Augen öffnen solltest.“
„Um was zu sehen?“ fragte sie mißtrauisch. „Die Mandelblüte deiner Verheißung …?“
„Damit du deine Geschichte und deine Vergangenheit erkennst und dich mit ihnen weiter in die Tage einbringen kannst, als du es tust.“
Tralee überlegte, wohin sie geraten war. Sie war in einer Felshöhle an einem dämmernden, nebeligen Morgen, und das war schon das Ende ihrer Weisheit. Sie wollte die Unterhaltung mit Myrddin nicht weiterführen, da sie sich durch sie furchtbar verletzt fühlte. Sie war auf einen Guru hereingefallen, der sich selbst offenbar für einen Gnostiker hielt. Sie war unbewußt – wie ein jedes dieser Sektenmitglieder – ausgenutzt worden,
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