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Myrddin

Myrddin

Titel: Myrddin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Saunders
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in einem Spiegellabyrinth. Und Myrddin hoffte auf die Elfen und war sich sicher, daß sie ihre Aufgabe gewissenhaft durchführen würden, wenngleich sie kein Gewissen besaßen, zu dem die Menschen bedeutungsvoll hätten aufblicken können. Dieses niedere Entwicklungsstadium hatte es in ihrem Geschlecht nicht gegeben, und deshalb wahrscheinlich waren sie so stolz, jeder einzelne Vanyar von erhabener Majestät und sie zusammen das schillernde Geschlecht der Blondelfen.
    Die ganze Nacht hockte Myrddin an der feuchten Felswand und grübelte, bis Tralee am frühen Morgen erwachte. Auf ihren Lippen lag das Salz der See, ihre Haut spannte und ihre Nase war eiskalt, als wäre sie ihr abgefroren. Myrddin mußte sie in der Nacht zugedeckt haben. Sie wußte es, weil sie unter seinem Fellanorak lag, der sie gewärmt hatte. Aber innerlich fühlte sie sich wie ausgedörrt. Wo waren ihr Humor, ihr Charme und wo nur ihre Anmut?
    Sie wollte kein Komplize von Myrddin sein, wollte keine Schwierigkeiten mit den Behörden, hatte sich in ihrem Leben unauffällig und schadlos gehalten, und dafür war sie unzählige Kompromisse eingegangen. Sie hatte gearbeitet, um sich die mindeste Unabhängigkeit zu verschaffen. Sie war eine anständige Bürgerin gewesen, und niemand hatte ihr berechtigt etwas nachsagen können. All die Jahre hatte sie eisern gespart, weil sie einmal die Anden Südamerikas sehen wollte. Sie hatte von den Höhen des Ampato, des Coropuna und des Ojo del Salado geträumt und jetzt, kurz bevor sie ihren Traum vielleicht verwirklichen konnte, saß sie in einer Felshöhle, wurde von der Polizei gesucht, wenigstens als Zeugin in einem Mordfall – vielleicht sogar als Mittäterin. Leslie Tralee, weiblich, 58 Jahre, gesucht wegen gemeinschaftlichen Mordes an Jeremiah Palluck. Auf Hinweise, die zur Ergreifung der verdächtigen Person führen, ist eine Belohnung von 1 500 Pfund Sterling ausgesetzt . Weshalb zeigte sie Myrddin nicht einfach bei der Polizei an oder verriet zumindest, wo er sich versteckt hielt? Palluck hatte er nicht umgebracht – das schien ihr gewiß zu sein. Doch wie konnte er es verantworten, sie und Brian in Probleme zu stürzen und still abzuwarten, was sich ein vierzehnjähriges Mädchen ausdachte, ohne sich selbst seiner Verantwortung zu stellen? So dachte sie, als sie aufgewacht war, und warf einen mißbilligenden Blick zu dem Puppenspieler.
    „Das will ich dir gerne sagen“, sprach Myrddin plötzlich, der Tralees Gedanken verfolgt hatte und ihr keinen guten Morgen wünschen wollte. „Ich bin nicht abergläubisch. Und ich bin kein ­Orientale. Ich kann nur selten an Vorhersehungen glauben und habe eine grundsätzlich andere Moral als du, Leslie. Ich kann nur darauf aufpassen, daß dir in meiner unmittelbaren Umgebung nichts Arges widerfährt. Dein Verhalten und dein Leben werde ich so wenig bewerten, wie du mein Leben beurteilen kannst, da niemand das Leben des anderen verstehen wird. Falls du mich meiner Verantwortung gemahnst, so ist das deine Sache. Und würde ich mich nicht in dieser Verantwortung bewegen wollen, ist das eine andere Sache. Deshalb aber bin ich nicht verantwortungslos, sondern ich entspreche dir nur nicht“, sagte Myrddin und würdigte sie nicht einmal eines Blickes.
    Tralee war überrascht, daß er über ihre Gedanken gesprochen hatte, doch sie war sich nicht sicher, ob er nicht nur träumte und im Schlaf gesprochen hätte. Und sie stand auf, um sich zu vergewissern.
    „Du kannst sitzen bleiben, denn ich bin wach. Guten Morgen, Leslie“, sagte er ihr zuvorkommend, und sie wußte nicht, was sie davon halten sollte.
    „Na, ein guter Morgen wird das wohl kaum werden können, in der Kälte, ohne Kaffee. Wir werden uns hier den Tod holen und uns pro forma bis dahin jeden Tag einen guten Morgen wünschen … ha …“, erwiderte sie barsch, da sie Myrddin niemals Fähigkeiten eingestehen wollte, die sie erstaunen könnten – und sie wäre eingeschüchtert gewesen, hätten sich dafür Belege sammeln lasen, die eine solche Möglichkeit auch nur verdichten ließ, daß er wenigstens ihre Gedanken lesen könnte.
    „Wer bist du, William Myrddin …?“ fragte sie unvermittelt. „Du hast niemals dein Gedächtnis verloren, nicht wahr? Du hast uns immer etwas vorgemacht, nicht?“
    „Das ist zum Teil richtig“, sagte er und schwieg dann.
    „Du bist wirklich nur zufällig in unserer Bucht angespült worden, was ich nicht immer geglaubt habe. Doch heute weiß ich, daß es nur ein Zufall

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