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Myrddin

Myrddin

Titel: Myrddin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Saunders
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ihren härteren Meißeln und schärferen Hobeln.
    Myrddin stand zwischen den Pfosten der Welt, in die die Runen der Zeit geschnitzt waren, die nun langsam verblichen, und er fühlte sich wohl in seinen Mauern der Nacht, hörte irgendwo Eulen wachen und scheue Wildschweine durch die Bruchwälder ziehen – und der Januarregen war die Musik. Das Licht in seinen Fenstern war der Meeresschimmer, und seine schweren Granitplatten ruhten ungeschlagen in den Bergmassiven. Myrddin stand und fühlte – und er weinte vor Glück. Seine Tränen liefen mit dem Regen seine Wangen hinab, und langsam wurde er sich der Welt bewußt, in der er wieder war.
    Er war allein und es war ein einsamer Empfang, den er sich selbst bereitete. Seine Heimat war verlassen, seine Geschichte hatte es nicht gegeben. Myrddin trug den Sarg eines jeden Jahrhunderts in sich und wollte sie endlich bestatten. Deshalb war er gekommen und deshalb hatte er sich des ersten höflichen Mantels der Menschen entledigt. Ja, er spürte heimisches Terrain und hörte schon die charmanten Grotesken seiner Landsleute, deren Sprache er bereits kennengelernt hatte. Er atmete die saubere Luft tief ein und genoß ihren schweren samtigen Geschmack. Die Luft gab ihm Kraft und Zuversicht. Sie erfüllte ihm die Sehnsüchte und belohnte ihn mit frischem Mut. Es war die Luft seiner ehrwürdigen Insel, die ihm die weichen Daunen seines Lagers und die streichelnde Milde seines Alters sein sollte. Und Myrddin kam ins Schwärmen, als er seinen Eschenstab zur Begrüßung emporwirbeln wollte. Doch er hatte ihn nicht in seinen Händen und er stand nicht in den Prescelly Mountains mit dem Blick in die Cardigan Bay, sondern knietief im Nordseewasser – und die Vanyar waren nicht mehr bei ihm.
    Plötzlich mußte er laut über sich lachen und erinnerte sich, daß die Elfen auf dem Weg zur SOUNDLOVE waren, es eine Tralee und eine reizende Brian gab und ganz offensichtlich einen umsichtigen Elwe, der seine Gegenstände auf den Strand gelegt hatte. Myrddin befühlte seine feuchte Kleidung, den löcherigen Troyer und seine nassen Hosen.
    Wie lange mochte er hier gestanden haben? Die Vanyar konnte er weder sehen noch hören. Er lief aus dem Wasser und fand seinen Eschenstab und sein Bündel der Rentierkleidung. Der Seher war in Britannien angekommen, gelandet in eine Welt, in der es ihn nicht mehr gab, der er aber seine Symbole geliehen hatte. Er stand am Strand des Wissens, der seinen Glauben zu einer lückenhaften, schematischen Mythologie gemacht hatte, an den Ufern eines lächerlichen neuzeitlichen Druidentums, das die Frauen unterjochte, und Myrddin lachte zu Eriu. Er hatte die Grenzen zu dem Reich überschritten, das ein Julius Cäsar niemals verstanden hatte, doch dessen Beschreibungen er nichts hinzufügen wollte. Er dachte an das, was die Menschen Emain nannten und was ihnen so ulkig wie der Glaube an sich vorgekommen sein mußte. Myrddin besaß nicht das Wissen der Gegenwart, noch nicht einmal die Kenntnisse, die Brian in der Schule gelernt hatte – doch er besaß die Erfahrung, die dem Leben eines Theoretikers überlegen war. Was ihnen das Papier gewesen war – der Kopf und die Vermutung – war Myrddin das allgegenwärtige Gedächtnis. Er brauchte keine Geschichtsschreiber, die ihre Spekulationen propagierten, und er brauchte keine Übermenschen oder Halbgötter, zu denen er aufblicken sollte. Er mußte für sich nicht die Symbole der alten Mythen veranschaulichen, noch bedurfte es eines Zeichens seiner Macht. Es war ihm gleichgültig, ob er als wahrhaft Wissender von den Scharlatanen verspottet und verlacht werden sollte, und es interessierte ihn genausowenig, ob die Menschen in Streit und Vernichtung den Erdball zerfetzen würden, noch bevor die Sonne ihn verglühen ließe. Lehren der Menschheit waren ihm egal und eine Zukunft existierte nicht. Er war nicht als Heilsbringer gekommen, fühlte sich nicht als Prophet und noch weniger als Zauberer. Er war William Myrddin, der Puppenspieler, auf Reisen in eigenen Angelegenheiten. Und der Himmel? Der Himmel würde den Menschen schon nicht auf den Kopf fallen. Dieser Himmel war eines der lustigen Schauobjekte für diejenigen gewesen, die ihre Nasen zu tief in den Unrat anderer gesteckt hatten, und ein Mahnmal für jene, die ihre Hälse höher tragen wollten und ihre Absichten auf den Rücken anderer auszutragen gedachten. So blieb für ihn die Frage, ob man es verstanden hatte. Veralbert hatte man es jedenfalls, so, wie man einen

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