Myrddin
vorzubereiten. Die Sprache der Gegenwart wolle er erlernen. Fast wäre er gescheitert, dachte er sich. Er hatte die Dame und den Herren mit zu großen Ehren bedacht, was häufig als Verhöhnung aufgefaßt und ausgelegt wurde. Er konnte sich daran erinnern, daß er auf dem Weg zu den Shetlands gewesen war – doch wo blieben die Elfen und wo war sein Kristall? Wo war sein Stab? Und wo nur war seine HAMAMELIS?
Er hatte von den Elfen geträumt, von Elwe Singollo, dem großen Elfenkönig, der sich durch eine Verzauberung in einem Wald verirrte und niemals wieder gesehen worden war. Er hatte geträumt, eine Elfe hätte ihm auf der Brust gesessen, gehüllt in einen Graumantel, und hatte ihm auf die Nase gestupst. Da war noch das Eis, das gebrochen war, und da waren der Sturm und ein Boot, in das er sich gehievt hatte. Er konnte sich an die Übelkeit und an seine Lähmung erinnern. Der Sturm und die Kälte mußten grauenvoll gewesen sein. Es war wie die kochenden Wasser eines Suppentroges gewesen, die ihn verschlingen wollten. Sein Buch zumindest war gerettet – vielleicht, falls er sich nicht in Gefangenschaft befände. Doch Kerkerwächter der Moderne stellte er sich anders vor als Leslie Tralee, die ihm überzeugend freundlich vorgekommen war. Er sah seinen Anorak und seine Fellhose, die über der Leine hingen, und bemerkte erst jetzt, daß er den Mantel eines Fremden trug. Jemand mußte ihn ausgezogen und in das Bett der Eheleute gelegt haben.
Der Sturm tobte vor seinen Augen, und das Eis brach – Bilder der Wikingerzeit und ihrer Seefahrt stiegen unwillkürlich in ihm auf, und ein Vers fiel ihm ein, den er laut vor sich hinsprach:
„ Der Sturm mit großen Hieben
meißelt um des Schiffes Steven,
gewaltig pfeifend siedend Wogen.
Eisiger Atem aus tückischem Riesenmund
braust rund um den Bug
mit alles vernichtendem Krachen. “
Tralee legte den Löffel in ihren Teller, als sie Myrddin sprechen hörte, und schwärmte für die Strophe, die sie nicht kannte und von der sie nicht wußte, woher sie kam.
„Wie hast du das schön gesagt, William. Von wem ist das?“ wollte sie wissen.
Myrddin war plötzlich nicht sicher, ob sie ihn aushorchen wollte, und bereute seinen Fehler, etwas laut zitiert zu haben, von dem er nicht wußte, was es für Reaktionen auslösen würde. Er mußte vorsichtiger werden, da er unter Menschen war und sich nicht mehr allein auf einer Insel befand, oder auf der Wanderung mit seinen Tierfreunden. Er überlegte, wie er es erklären könnte, ohne daß die Menschen noch neugieriger würden.
„Das habe ich vergessen – doch es klingt schön, nicht wahr …“, sagte er geistesgegenwärtig. Bestätige ihre Ansichten und sie sind zufrieden. Sie lassen einen dann immer in Ruhe, und man konnte sie beobachten und ihre wirklichen Motive entdecken, dachte Myrddin.
„Ja … So etwas haben wir schon lange nicht mehr gehört, William. Nicht wahr, Jerry?“ fragte sie Palluck, der weniger begeistert als sie schien.
Myrddin meinte, daß Palluck etwas wie einen Konkurrenten in ihm sehen könnte, zumindest in Bezug auf seine Frau. Und falls dem so sei, wäre dies ein eindeutiges Zeichen, daß er sich nicht in Gefangenschaft befinden konnte, sondern ein freier Mann war. Es schien ihm, als sähe Old Jerry ein Umwerben in seinem Verhalten, und das wäre sicherlich sehr ungeschickt von Myrddin gewesen, in eine fremde Welt aufzubrechen und als erstes um die Frau seines Gastgebers zu werben. So etwas brachte immer Groll. Oder er hätte ihn sogar zum Duell fordern können. Es konnte sicherlich nicht in Myrddins Absicht liegen, sich um die Dame des Hauses – die Haushälterin der schäbigen Hütte – zu bewerben. Myrddin mußte irgendwie das Interesse des Mannes wecken. Aber wo waren die Interessen des Palluck gelagert?
Er trank. Nein. Er war ein Säufer. Und Trinker waren entweder mürrische, aggressive Kerle, denen man lieber nicht den Rücken zukehren sollte, oder aber sie waren gemütliche, unterhaltsame Wesen, die hinter glasigen Augen an einer Zeit gescheitert waren, zu der sie keinen Zugang mehr finden konnten. Jedenfalls waren es immer empfindliche, zerbrechliche, feine Personen, was Tralee ihm in Bezug auf Palluck auch angedeutet hatte. Er mußte also auf den Alkohol zu sprechen kommen – ihn vielleicht um ein Glas aqua vitae bitten, das Palluck wohl als Grundnahrungsmittel anzusehen schien. Hoffentlich entwickelte er keinen Fressneid … oder besser: keinen Trinkneid, hoffe Myrddin. Ansonsten
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