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Myrddin

Myrddin

Titel: Myrddin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Saunders
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sein Eschenstab war verschwunden. Ob die Menschen ihn ihm genommen hätten? Und sein Buch? Sein Buch konnte er schließlich auf dem Tisch liegen sehen – glücklicherweise unberührt. Das Leder war unversehrt, und seine Schnur, die er um das Leder gebunden hatte, offenbar unangetastet. Sie würden also nicht wissen, welche Macht in ihm steckte, und er dachte sich, daß Menschen, die viel sprächen, auf andere immer harmlos wirkten. Also müßte er mit den Menschen viel sprechen, irgend etwas Freundliches zu der Frau sagen, die an dem wackeligen Tisch saß und etwas auf einem Zettel zu lesen schien. Er mußte mit ihr sprechen, bevor sie auf den Gedanken kommen könnte, seinem Buch größere Aufmerksamkeit zu schenken und es vielleicht sogar öffnen zu wollen.
    Merlin hatte sich unbemerkt auf seine Ellenbogen gestützt, war ihm sehr schwer gefallen war. Aber er verbarg seine Schmerzen und sagte: „Guten Abend, Mylady.“
    Leslie Tralee erschrak, als wäre sie dem Tod begegnet, doch Merlin fuhr freundlich fort: „O, verzeiht mir. Ich wollte Euch sicher nicht erschrecken.“
    Zum einen gab es niemanden, der sie jemals ohne Spott Mylady genannt hatte, und zum anderen kannte sie keinen, der sie im pluralis majestatis ansprechen würde. Sie war Leslie. Leslie Tralee. Achtundfünfzig Jahre alt. Technische Assistentin. Seit zwei Jahren im vorgezogenen Ruhestand mit einer bescheidenen Pension. Keine nennenswerten Ersparnisse. Sie liebte die Shetlands und träumte davon, einmal in ihrem Leben durch die Anden zu reisen. Sie hatte sich in die Arzneimittelbeschreibung der Tabletten vertieft, als Merlin sie angesprochen hatte, und als hätte sie der Blitz getroffen, war sie hochgeschreckt.
    „Mylady, verzeiht, aber hat es Euch die Sprache verschlagen, daß Ihr mich nicht begrüßt, oder darf ich es als Unbill gegen meine Person auffassen …?“ fragte Merlin freundlich und versuchte, die Situation mit seiner gewählten Sprache vorsichtig zu taxieren.
    „Nein, nein … mein Herr …! Ach, Quatsch …“, stammelte sie und lachte dann Merlin unerwartet fröhlich an. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich bin platt …“
    „Wünscht mir einen guten Tag und dann sehen wir weiter. Was meint Ihr?“
    „Sie sprechen so komisch. Sie reden so … so …, na so hochgestochen. Ich bin keine Mylady …“
    „Was seid Ihr dann, werte Frau? Nennt mir Euren Namen, bitte“, erwiderte Merlin unbeirrt.
    In diesem Moment riß Palluck die Tür auf, doch sah er Merlin nicht, der sich auf seine Ellenbogen gestützt hatte und Tralee in eine Unterhaltung verwickeln wollte.
    „Ein Sauwetter ist das, Leslie. Den Kerl hol ich nicht wieder. Der hat nur seine Kohle im Kopf, würde Patty sagen. Und man sieht draußen die Hand vor …“
    Palluck hörte auf zu sprechen, als er den Alten in seinem Bett bemerkte. Mit einem fast schneeweißen Gesicht, schmalen Lippen und langen, glatten Haaren stützte sich Merlin fidel hoch und schaute lebendig in den Raum.
    „Aha, der Gemahl, wie ich annehmen darf. Guten Abend, der Herr. Eben sprach ich mit Eurer Gemahlin, Herr, als Ihr hereinkamt“, sagte Merlin.
    „Leslie … spinnt der? Will der uns verscheißern …? Ist noch ’n Schluck in der Flasche?“ fragte Palluck verwundert.
    „Verzeiht mir … mitnichten. Ich hieß Euch einen guten Abend und darf Euch ebenfalls darum bitten“, sagte Merlin mit freundlicher Entschlossenheit. Palluck war vollkommen irritiert.
    Tralee begann zu lachen, als sie ihren Old Jerry unbeholfen dastehen sah, der seinen Gast anstarrte, als sei dieser nur eine vorübergehende Erscheinung in seinem Bett. Dann schüttelte Palluck nur den Kopf und wollte die Belehrung nicht wahr haben, bevor er dem alten Mann überhaupt etwas erwidern konnte.
    „Schon gut, Alter … ’n Abend …“ Und dann fragte er Tralee: „Sag mal, stimmt es, was ich sehe und was ich höre? Der Alte redet mich mit mein Herr an?“
    „Besser noch: er nennt mich Mylady , mein Lieber. Lasse dir einmal Anstand und Höflichkeit beibringen“, lachte Tralee, und Palluck vergaß zum ersten Mal alle Abmachungen, indem er die Whiskyflasche nahm, aus ihr trank und sie dann wieder absetzte. Vor Erstaunen hatte er sich noch nicht gesetzt und seinen Mantel noch nicht an einen Haken über der Tür gehängt, wie er es sonst zu tun pflegte, als Merlin in seinem Bett bereits weiterdachte.
    Falls er von den Menschen wissen wollte, wie sie hießen, wollten sie natürlich auch seinen Namen wissen. Was konnte er ihnen

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