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Myrddin

Myrddin

Titel: Myrddin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Saunders
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käme ein zweites feindliches Element mit dazu: zu der Verteidigung seiner Frau käme die Verteidigung seiner Nahrung.
    Wohin war Myrddin geraten, und wo war sein Eschenstab? Was sollte er sagen, würden sie nach seinen Plänen fragen, was er durchaus für möglich hielt? Jeden Fremden konnte man nach seinen Zielen fragen, ohne aufdringlich zu sein. Doch falls er sagen würde, daß er nach Britannien wolle, und wäre er dort bereits angekommen, würden sie sich vorsichtiger begegnen müssen. Er hätte ihnen dadurch indirekt verraten, daß er nicht wußte, wo er war. Und woher hätte er kommen können? Konnte er sagen, daß er über das Eis zu den Shetlands aufgebrochen und dann in eine tosende See gefallen sei? Was war mit seinen Beinen, die er weder bewegen noch spüren konnte?
    „William, kennst du mehr solcher Verse? Weißt du, ich habe gedacht, du wärest ein Trinker, den Jerry über die Feiertage irgendwo aufgegabelt hätte. Und ich habe Jerry sogar dafür gescholten, stimmt’s …“, sagte sie fröhlich und Palluck nickte, beugte sich dann wieder über den Teller und löffelte den Stew.
    „Ja, ich kenne viele Geschichten und Gedichte“, erwiderte Myrddin, doch er durfte mit Sicherheit niemals jemandem erzählen, woher er sie kannte.
    „Das ist schön. Gebildete, warmherzige Menschen sind eine Rarität auf den Shetlands. Die Schäfer hier lassen sich oft kaum von ihren Schafen unterscheiden, und die Fischer haben eine unappetitliche Härte, als wären die Gräten ihres Fanges ihnen oft in den Hälsen steckengeblieben“, lachte sie und Palluck blickte zu ihr auf. „Nein, Jerry, nicht du. Aber nimm zum Beispiel Charles Rhys. Seine Schafzucht und seine Fischerei haben derart das Gemüt verdunkelt, daß er die beiden Mädchen weder beachtet noch ihnen in ihrer Entwicklung hilft. Die Jungen heute müssen mit einer komplizierten Welt fertig werden. Da hilfst du Patty mehr, als es Charles tut, der offensichtlich nur über seine Arbeit, den Schnaps und Frauen sprechen kann. Was meinst du, William?“
    „Nun … ich kenne keinen Charles Rhys.“
    „Nein. Natürlich nicht. Aber es wird dort doch nicht anders sein, wo du herkommst.“
    Myrddin lobte still die geschickte Frage. Sie versuchte ihn unausgesprochen dazu zu bringen, über Dinge zu sprechen, die sie nichts angingen und die er nicht preisgeben wollte. Leslie Tralee war raffiniert. Sie wollte wissen, woher er kam – und dann wollte sie sicherlich auch wissen, wohin er wollte, meinte Myrddin. Er jedenfalls hatte rechtzeitig erfahren, daß er sich auf den Shetlands befand, wo es einfältige Schafzüchter und wortkarge Fischer geben sollte, was ein Anzeichen für Armut sein konnte. Und er wußte weiterhin, daß der Säufer Palluck ihn offensichtlich gefunden hatte. Zuvor war er auf dem Eis gewesen und in der offenen See. Er mußte also auf den Shetlands angespült worden sein, konnte sich allerdings daran nicht mehr erinnern. Seine HAMAMELIS war verschwunden – soviel schien ihm klar zu sein. Seine Vorräte waren ebenfalls fort. Er lag gelähmt in einem Bett, hatte urplötzlich Durst und wurde danach gefragt, woher er käme. Was war das für eine durchsichtige Strategie. Sie sollte ihre Antwort bekommen, aber noch etwas darauf warten.
    „Entschuldigt bitte … aber ich habe entsetzlichen Durst. Dürfte ich etwas zu trinken bekommen? Mein Mund ist trocken und ich habe einen scharfen, bitteren Geschmack im Rachen“, sagte Myrddin, und Tralee sprang auf, entschuldigte sich für ihr mangelhaftes Benehmen und wollte ihm sofort einen Tee kochen. Myrddin jedoch bat nur um Wasser und – seine Chance sah er gekommen, die Gunst des Trinkers zu gewinnen –, „… und vielleicht einen kleinen Schluck des Lebenswassers, wenn du es erlauben würdest.“
    Palluck blickte auf. Seine Augen fingen den Glanz des spärlichen Lichtes, und er sagte: „Selbstverständlich, William …! Klar ist das erlaubt. Du sollst einen Schluck mit mir auf Miles O’Curry trinken …“ Das sagte er immer, bevor er zu zechen begann. Miles O’Curry, sein kanadischer Freund, den niemals jemand auf den Shetlands gesehen hatte, der aber durch sein Vermögen, das er Palluck gemacht hatte, sich ein lebendiges Denkmal gesetzt hatte und stets die Zeche zahlte, wie er auch die Zechen all der Jahre beglichen hatte. Und Palluck goß Myrddin ein Glas Whisky ein.
    Tralee verdünnte es mit heißem Wasser und Palluck sprang auf, stand stramm hinter dem Tisch in exerzierter Grundstellung, hob das Glas

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